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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH ECUADOR, BOLIVIEN UND PARAGUAY

(5.-13. JULI 2015)

PRESSEKONFERENZ MIT DEM HEILIGEN VATER
AUF DEM RÜCKFLUG ASUNCIÓN - ROM

[Multimedia]


 

(Aníbal Velázquez – ABC Color)

Heiligkeit, ich bin Aníbal Velázquez aus Paraguay. Wir danken Ihnen, dass Sie das Heiligtum von Caacupé zur Basilika erhoben haben. Doch in Paraguay fragen sich die Leute: Warum hat Paraguay keinen Kardinal? Was ist die Sünde Paraguays, dass es keinen Kardinal hat? Oder jedenfalls: Ist es noch weit entfernt davon, einen Kardinal zu haben?

(Papst Franziskus)

Nun, es ist keine Sünde, keinen Kardinal zu haben. Die Mehrheit der Länder der Welt haben keine Kardinäle. Die Nationalitäten der Kardinäle – ich erinnere mich nicht, wie viele es sind – bilden im Vergleich zum Ganzen eine Minderheit. Es stimmt, Paraguay hat bis jetzt keinen Kardinal gehabt. Ich wüsste Ihnen keinen Grund zu nennen. Manchmal ist man bei der Wahl der Kardinäle unentschlossen; man liest und studiert die Dossiers jedes Einzelnen, man schaut auf die Person, vor allem auf das Charisma des Kardinals, das darin bestehen müsste, den Papst zu beraten, ihm bei der universalen Regierung der Kirche zu helfen. Obwohl der Kardinal zu einer Teilkirche gehört, ist er – und daher das Wort – inkardiniert in der Kirche von Rom und muss eine universale Sicht haben. Das will nicht heißen, dass es in Paraguay keine Bischöfe gibt, die eine solche Sicht haben, haben können, doch wie immer, muss man bei der Wahl eine zahlenmäßige Begrenzung berücksichtigen – man darf bei der Ernennung die Zahl der 120 wahlberechtigten Kardinäle nicht überschreiten –, und so wird das wohl der Grund sein. Bolivien hat zwei gehabt; Uruguay hat zwei gehabt: Barbieri und den jetzigen. Auch einige mittelamerikanische Länder haben keinen gehabt, aber das ist keine Sünde, und alles hängt von den Umständen, den Personen und vom Charisma ab, um inkardiniert zu werden. Und das bedeutet keine Geringschätzung, als hätten die paraguayischen Bischöfe keine Qualitäten. Es gibt geniale paraguayische Bischöfe. Ich erinnere mich an die beiden Bogarín, die in Paraguay Geschichte machten. Warum waren sie keine Kardinäle? Nun, sie waren es nicht. Es ist ja keine Beförderung, nicht wahr? Ich stelle mir eine andere Frage: Würde Paraguay einen Kardinal verdienen, wenn wir auf die Kirche von Paraguay schauen? Ich würde sagen: Es verdiente zwei, aber aus anderen Gründen; das hat nichts mit Verdiensten zu tun. Es ist eine lebendige Kirche, eine fröhliche Kirche, eine kämpferische Kirche, und sie hat eine ruhmreiche Geschichte.

(Priscila Quiroga – Cadena A; Cecilia Dorado Nava – El DEBER, Bolivien)

Heiligkeit, bitte, uns interessiert, Ihre Meinung zu erfahren: ob Sie den Wunsch der Bolivianer, wieder einen souveränen Zugang zum Pazifischen Ozean zu haben, für gerecht halten. Und, Heiliger Vater, falls Chile und Bolivien Ihre Vermittlung erbäten, würden Sie akzeptieren?

(Papst Franziskus)

Die Frage der Vermittlung ist eine sehr heikle Angelegenheit und wäre gleichsam ein letzter Schritt. Argentinien hat das mit Chile erlebt, und da ging es wirklich darum, einen Krieg zu vermeiden. Es war eine Grenzsituation, und sie wurde von den Beauftragten des Heiligen Stuhls – hinter denen immer der heilige Johannes Paul II. stand, der sich darum kümmerte – sehr gut geführt. Und es gab den guten Willen der beiden Länder, die sagten: „Versuchen wir, ob es geht.“ Merkwürdigerweise gab es, zumindest in Argentinien, eine Gruppe, die diese Vermittlung durchaus nicht wollte. Und als Präsident Alfonsín die Volksabstimmung über die Annahme einer Vermittlung durchführte, sagte offensichtlich die Mehrheit des Landes Ja, doch es gab eine Gruppe, die widerstand. Immer ist es im Fall einer Vermittlung kaum erreichbar, dass das ganze Land einverstanden ist, doch es ist die letzte Instanz, und es gibt immer andere diplomatische Figuren die helfen, in diesem Fall Facilitatoren und andere.

In diesem Moment muss ich das mit großem Respekt behandeln, denn Bolivien hat bei einem internationalen Gericht Berufung eingelegt. Wenn ich also jetzt einen Kommentar abgebe – ich bin Oberhaupt eines Staates –, könnte das als Einmischung oder als Druckausübung interpretiert werden. Ich muss gegenüber der Entscheidung des bolivianischen Volkes, das diese Berufung einlegte, sehr respektvoll sein. Ich weiß auch, dass es zuvor Gesuche um einen Dialog gegeben hat. Es ist mir nicht ganz klar. Zur Zeit des chilenischen Präsidenten Lagos sagte mir jemand etwas in dem Sinn, dass man einer Lösung nahe war, doch ich sage das, ohne über genaue Daten zu verfügen. Es war eine Bemerkung, die Kardinal Errázuriz mir gegenüber machte. So möchte ich in diesem Zusammenhang keinen „Humbug“ erzählen.

Es gibt einen dritten Punkt, den ich gerne klären möchte. In der Kathedrale von Bolivien habe ich dieses Thema ganz vorsichtig angedeutet und dabei die Situation der Berufung vor dem internationalen Gericht berücksichtigt. Ich erinnere mich genau an den Kontext: Die Brüder müssen dialogisieren, die lateinamerikanischen Völker sollen dialogisieren, um die „Große Heimat“ zu bilden, der Dialog ist notwendig. Hier habe ich innegehalten, geschwiegen und dann gesagt: „Ich denke ans Meer“, und weiter: „Dialog und Dialog!“. Ich möchte, dass ganz klar ist, dass meine Äußerung eine Erinnerung an dieses Problem war, jedoch in der Achtung gegenüber der Situation, wie sie sich jetzt darstellt. Da die Angelegenheit bei einem internationalen Gericht liegt, kann man nicht von Vermittlung, noch von Facilitation reden, man muss abwarten.

(Priscila Quiroga und Cecilia Dorado Nava fragen noch einmal)

Ist der Wunsch der Bolivianer gerecht oder nicht?

(Papst Franziskus)

Antwort: Wenn es um die Veränderung territorialer Grenzen geht, besonders nach einem Krieg, ist die Basis immer eine Frage der Gerechtigkeit. Es wird ständig neu daran gearbeitet. Ich würde sagen, es ist nicht unrecht, einen solchen Wunsch in Erwägung zu ziehen. Ich erinnere mich, dass man uns im Jahr 1961 – dem ersten Jahr meines Philosophie-Studiums – einen Dokumentarfilm über Bolivien vorführte; ein Pater war aus Bolivien gekommen. Ich glaube, der Film hieß „Die zwölf Sterne“ – wie viele Provinzen hat Bolivien? [Sie antworten, dass es neun Bezirke sind.] – Dann hieß er „Die zehn Sterne“. Der Film stellte jeden der neun Bezirke vor und am Schluss den zehnten – und man sah das Meer, ohne ein einziges Wort. Das hat sich mir tief eingeprägt. Es war im Jahr 1961. Das heißt, man sieht, dass es ein Sehnen gibt. Natürlich gibt es nach einem solchen Krieg Verluste, und ich glaube, dass vor allem der Dialog, das gesunde Verhandeln wichtig ist. Jetzt, in diesem Moment, ist der Dialog natürlich gestoppt wegen dieses Verfahrens in Den Haag.

(Fredy Paredes – Teleamazonas, Ecuador)         

Heiliger Vater, guten Abend und vielen Dank! In Ecuador gärte es vor Ihrem Besuch. Nachdem Sie das Land verlassen haben, sind die Menschen, die gegen die Regierung sind, erneut auf die Straße gegangen. Es scheint, als wolle man Ihre Gegenwart in Ecuador politisch nutzen, besonders wegen Ihrer Aussage: „Das ecuadorianische Volk hat sich mit Würde aufgerichtet.“ Ich frage Sie ganz direkt, wenn es gestattet ist: Worauf bezieht sich dieser Satz? Sympathisieren Sie mit dem politischen Plan des Präsidenten Correa? Sie haben während Ihres Besuches in Ecuador allgemeine Empfehlungen gegeben, die darauf ausgerichtet waren, die Entwicklung, den Dialog, den Aufbau der Demokratie zu erzielen und nicht die Politik der Aussonderung – wie Sie es nennen – fortzuführen. Glauben Sie, dass all das in Ecuador bereits praktiziert wird?

(Papst Franziskus)

Natürlich weiß ich, dass es politische Probleme und Streiks gab, das weiß ich. Ich kenne nicht die Schwierigkeiten der Politik Ecuadors, und es wäre einfältig von mir, wenn ich mich dazu äußern würde. Nachher wurde mir gesagt, dass es gleichsam eine Unterbrechung gegeben hat, wofür ich danke, denn es ist eine Geste eines aufrechten Volkes, den Besuch des Papstes zu respektieren. Dafür danke ich, und ich weiß es zu schätzen. Jetzt nehmen die Dinge wieder ihren Lauf von vorher auf; es ist klar, dass die Probleme und die politischen Diskussionen weitergehen. Was die Aussage betrifft, die Sie zitieren: Ich beziehe mich darauf, dass das ecuadorianische Volk sich stärker seines Wertes bewusst geworden ist. Es gab vor nicht langer Zeit einen Grenzkrieg mit Peru; es gibt kriegerische Zwischenfälle – und danach ein stärkeres Bewusstsein der Mannigfaltigkeit des ethnischen Reichtums Ecuadors. Und das verleiht Würde. Ecuador ist kein Land der „Aussonderung“. Das heißt, meine Aussage bezieht sich auf das ganze Volk und auf die ganze Würde dieses Volkes, das sich nach dem Grenzkrieg aufgerichtet hat und sich immer mehr seiner Würde und des Reichtums der Einheit in der Vielfalt, die es besitzt, bewusst geworden ist. Was ich sagte, kann also nicht mit einer konkreten Situation verknüpft werden. So ist dieser selbe Satz, wie man mir sagte – ich habe es nicht gesehen –, von beiden Seiten als Interpretation der je eigenen Situation instrumentalisiert worden: die Regierung habe Ecuador aufgerichtet oder – auf der anderen Seite – die Regierungsgegner hätten sich aufgerichtet. Man kann einen Satz für eigene Zwecke missbrauchen, und darin muss man meiner Meinung nach sehr vorsichtig sein. Ich danke Ihnen für die Frage, denn sie ist ein Ausdruck dieser Vorsicht. Sie geben ein Beispiel dafür.

Wenn Sie erlauben – da Sie mich nicht danach gefragt haben –, gewähre ich Ihnen fünf Minuten zusätzlich, falls nötig. Bei Ihrer Arbeit ist die Hermeneutik eines Textes von großer Bedeutung. Man kann einen Text nicht aufgrund eines Satzes interpretieren. Die Hermeneutik verlangt, den gesamten Zusammenhang zu berücksichtigen. Es gibt Sätze, die genau der Schlüssel der Hermeneutik sind, und es gibt Sätze, die das nicht sind, die beiläufig gesagt oder bildlich gemeint sind. Man muss also den gesamten Kontext ansehen, die Situation, sogar die Geschichte. Die Geschichte dieses Momentes oder, wenn wir von der Vergangenheit reden, ein Faktum aus der Vergangenheit mit der Hermeneutik seiner Zeit interpretieren. Zum Beispiel die Kreuzzüge: Wir interpretieren die Kreuzzüge mit der Hermeneutik des Denkens ihrer Zeit. Es ist grundlegend, eine Rede, jeglichen Text mit einer Hermeneutik der Zusammenschau und nicht der Isolierung zu interpretieren. Das sage ich als Hilfe für Sie. Vielen Dank.  Und jetzt gehen wir über zum Guarani [Ursprache der südamerikanischen Guarani-Indianer; hier scherzhaft für die Rückkehr ins Italienische, nachdem der Dialog bis zu diesem Punkt auf Spanisch geführt wurde].

(Stefania Falasca - Avvenire)

In Ihrer Rede in Bolivien vor den Volksbewegungen haben Sie vom neuen Kolonialismus gesprochen, vom Götzendienst des Geldes, der die Wirtschaft unterjocht, und von der Auferlegung von Sparmaßnahmen, die – wie Sie sagten – „immer den Gürtel der Armen enger schnallen“. Seit Wochen haben wir in Europa diesen Fall Griechenlands und seines Geschicks, das Gefahr läuft, aus der europäischen Währung auszusteigen. Was denken Sie über die Ereignisse in Griechenland, die auch ganz Europa betreffen?

(Papst Franziskus)

Zuallererst etwas zum Warum meines Vortrags auf dem Treffen der Volksbewegungen. Es ist das zweite dieser Art. Das erste fand im Vatikan, in der alten Synodenhalle statt; etwa 120 Personen waren gekommen…Es ist eine Veranstaltung, die vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden organisiert wird. Ich stehe dieser Wirklichkeit nahe, weil es ein in der ganzen Welt vertretenes Phänomen ist. In der ganzen Welt: auch im Orient, auf den Philippinen, in Indien, in Thailand… Es sind Bewegungen, die sich untereinander organisieren, nicht einfach um zu protestieren, sondern um voranzugehen und leben zu können. Und es sind Bewegungen, die Kraft besitzen. Diese Leute – es sind viele, viele! – fühlen sich durch die Gewerkschaften nicht vertreten, denn die Gewerkschaften sind ihrer Meinung nach inzwischen ein Unternehmen; sie kämpfen nicht – ich vereinfache jetzt ein bisschen – für die Rechte der Ärmsten. Die Kirche darf demgegenüber nicht gleichgültig sein. Sie besitzt eine Soziallehre und ist mit dieser Bewegung im Gespräch, in einem guten Gespräch. Sie haben die Begeisterung gesehen, weil diese Menschen spüren, dass die Kirche – wie sie sagen – „uns nicht fern ist. Die Kirche hat eine Lehre, die uns hilft, für diese Ziele zu kämpfen.“ Es ist ein Dialog. Nicht, dass die Kirche sich für den anarchistischen Weg entscheidet: Nein, das sind keine Anarchisten. Diese Leute arbeiten, sie versuchen, so viele Arbeiten zu verrichten, auch mit den Abfällen, mit den Dingen, die übrigbleiben; sie sind wirklich Arbeiter… Das ist der erste Punkt: die Bedeutung dieser Bewegung.

Nun zu Griechenland und dem internationalen System. Ich habe eine starke Allergie gegen die Wirtschaft, denn mein Vater war Buchhalter, und wenn er die Arbeit nicht im Büro zu Ende brachte, nahm er sie mit nach Hause, samstags und sonntags, mit diesen Büchern, in jenen Zeiten, in denen die Titel in gotischer Schrift geschrieben wurden… und er arbeitete, und ich sah meinen Vater… und habe eine Allergie… Ich verstehe nicht genau, wie sich die Sache verhält [das Problem Griechenlands], aber sicher wäre es einfach, zu sagen: Die Schuld liegt nur auf dieser Seite. Die griechischen Regierungsvertreter, die diese Situation der internationalen Verschuldung vorangebracht haben, tragen auch eine Verantwortung. Mit der neuen griechischen Regierung ist man auf eine wohl gerechte Revision zugegangen. Ich wünsche mir – das ist das Einzige, was ich dazu sagen kann, denn ich kenne mich nicht gut aus –, dass sie einen Weg finden, das griechische Problem zu lösen, und auch einen Weg der Überwachung, damit andere Länder nicht in dasselbe Problem fallen; und dass uns das hilft voranzukommen, denn dieser Weg der Darlehen und der Schulden kommt nie zu Ende. Vor mehr oder weniger einem Jahr wurde mir gesagt, dass es einen Plan der Vereinten Nationen gab – aber ich weiß nicht, ich habe das nur gehört; wenn jemand von Ihnen darüber Bescheid weiß, wäre es gut, wenn er es erklären würde – dass es einen Plan gab, demzufolge ein Land seinen Bankrott erklären kann – was nicht das Gleiche ist wie Default. Aber es ist ein Plan, von dem ich gehört habe, und ich weiß nicht, wie es ausgegangen ist bzw. ob die Nachricht wahr war oder nicht. Wenn ein Unternehmen eine Bankrott-Erklärung abgeben kann, warum sollte ein Land das nicht auch tun können, und so greift man auf die Hilfe der anderen zurück? Das waren die Grundlagen dieses Plans, doch ich kann nicht mehr darüber sagen.

Was die neuen Formen der Kolonialisierung betrifft, beziehen sie sich offensichtlich alle auf die Werte. Die Kolonialisierung des Konsumismus, zum Beispiel. Die Gewöhnung an den Konsumismus ist ein Prozess der Kolonialisierung gewesen, denn sie führt dich in eine Gewohnheit, die nicht die deine ist und auch deine Persönlichkeit aus dem Gleichgewicht bringt. Der Konsumismus bringt auch die interne Wirtschaft und die soziale Gerechtigkeit aus dem Gleichgewicht, sowie die körperliche und geistige Gesundheit, um nur ein Beispiel zu bringen.

(Anna Matranga – CBS News)

Heiligkeit, eine der stärksten Botschaften dieser Reise war, dass das globale Wirtschaftssystem häufig die Mentalität des Gewinns um jeden Preis durchsetzt, auf Kosten der Armen. Das ist von den Bürgern der Vereinigten Staaten wie eine direkte Kritik an ihrem System und ihrer Lebensweise wahrgenommen worden. Wie antworten Sie auf diese Wahrnehmung? Und was ist Ihre Beurteilung des Einflusses der Vereinigten Staaten in der Welt?

(Papst Franziskus)

Das, was ich gesagt habe, dieser Satz, ist nicht neu. Ich habe es in Evangelii gaudium gesagt: „Diese Wirtschaft tötet“ (Nr. 53). Ich erinnere mich gut an diesen Satz, da gibt es einen Kontext. Und ich habe ihn in Laudato si‘ gesagt. Diese Kritik ist nichts Neues, wie man weiß. Ich habe gehört, dass es in den Vereinigten Staaten einige Kritik gab. Das habe ich gehört. Aber ich habe sie nicht gelesen, und ich habe nicht die Zeit gehabt, sie gut zu studieren, denn jede Kritik muss entgegengenommen und studiert werden, um dann einen Dialog zu führen. Sie fragen mich, was ich denke, aber wenn ich nicht mit denen dialogisiert habe, die die Kritik üben, habe ich nicht das Recht, so isoliert vom Dialog einen Gedanken zu äußern. Das ist es, was ich Ihnen sagen kann.

(noch einmal Anna Matranga)

Sie werden jetzt in die Vereinigten Staaten gehen. Haben Sie eine Vorstellung, wie man Sie empfangen wird, haben Sie irgendwelche Gedanken über die Nation?

(Papst Franziskus)

Nein, ich muss jetzt beginnen, mich intensiv damit zu beschäftigen, denn bis jetzt habe ich mich intensiv mit diesen drei wunderschönen Ländern beschäftigt, die ein Reichtum und eine Schönheit sind. Jetzt muss ich beginnen, mich mit Kuba zu beschäftigen, denn ich gehe für  zweieinhalb Tage dorthin und dann in die Vereinigten Staaten, in die drei Städte des Ostens – denn bis in den Westen kann ich nicht gehen –, Washington, New York und Philadelphia. Ja, ich muss beginnen, diese Kritik zu studieren und dann ein wenig dialogisieren.

(Aura Vistas Miguel)

Heiligkeit, was haben Sie empfunden, als Sie diese Komposition aus Hammer und Sichel mit dem Christus darauf gesehen haben, die Präsident Morales Ihnen geschenkt hat? Und wo ist dieser Gegenstand hingekommen?

(Papst Franziskus)

Ich – das ist merkwürdig – kannte das nicht und wusste auch nicht, dass Pater Espinal ein Bildhauer und auch ein Dichter war. Ich habe es in diesen Tagen erfahren. Ich habe es gesehen, und für mich war es eine Überraschung.

Zweitens: Man kann es ins Genus der Protestkunst einordnen. So gab es zum Beispiel vor einigen Jahren in Buenos Aires eine Ausstellung eines fähigen, kreativen argentinischen Bildhauers, der inzwischen verstorben ist. Es war Protestkunst, und ich erinnere mich an ein Werk, das aus einem gekreuzigten Christus auf einem Bomber bestand, der gerade einen Angriff flog. Das war eine Kritik an einem Christentum, das mit dem – durch den Bomber dargestellten – Imperialismus verbunden ist.

Der erste Punkt also: ich wusste es nicht. Zweitens: Ich qualifiziere es als Protestkunst, die in einigen Fällen beleidigend sein kann – in einigen Fällen.

Drittens, in diesem konkreten Fall: Pater Espinal ist 1980 ermordet worden. Es war eine Zeit, in der die Befreiungstheologie viele verschiedene Strömungen hatte. Eine von ihnen vertrat die marxistische Wirklichkeitsanalyse, und zu dieser gehörte Pater Espinal. Das wusste ich allerdings, denn in jener Zeit war ich Rektor der theologischen Fakultät, und es wurde viel darüber gesprochen, über die verschiedenen Strömungen und wer ihre Vertreter waren. Im selben Jahr schrieb Pater Arrupe, der General der Gesellschaft Jesu, an den gesamten Orden einen Brief über die marxistische Wirklichkeitsanalyse in der Theologie und bremste ein wenig diese Bewegung, indem er sagte: Nein, das geht so nicht, es sind unterschiedliche Dinge, und es ist nicht recht. Vier Jahre später, 1984, veröffentlichte die Kongregation für die Glaubenslehre das erste kleine Bändchen, die erste Erklärung zur Befreiungstheologie, in der sie diese kritisiert. Dann kam die zweite Veröffentlichung, welche die christlicheren Perspektiven eröffnete. Ich vereinfache… Verwenden wir die Hermeneutik jener Zeit. Espinal war begeistert von dieser marxistischen Wirklichkeitsanalyse, aber auch von der Theologie und bediente sich des Marxismus. Daraus ging dieses Werk hervor. Auch die Gedichte Espinals sind von jener Art des Protestes. Es war sein Leben, es war sein Denken; er war ein besonderer Mensch von großer menschlicher Genialität, und er kämpfte im guten Glauben. Im Licht dieser Hermeneutik verstehe ich das Werk. Für mich war es keine Beleidigung. Aber ich habe diese Hermeneutik anwenden müssen, und ich sage es Ihnen, damit es nicht zu irrigen Ansichten kommt. Diesen Gegenstand nehme ich jetzt mit zu mir.

Sie haben vielleicht gehört, dass Präsident Morales mir zwei Auszeichnungen verliehen hat: Die eine ist die bedeutendste Boliviens und die zweite ist der Pater-Espinal-Orden; es ist ein neuer Orden. Nun, ich habe niemals eine Ehrung angenommen; ich mag das nicht… Aber er hat es mit so viel gutem Willen getan und in dem Wunsch, mir eine Freude zu machen. Und da habe ich gedacht, dass das von Boliviens Volk kommt – ich habe in dieser Sache gebetet, um zu begreifen, was ich tun sollte –, und ich habe gedacht: Wenn ich sie in den Vatikan bringe, landen sie in einem Museum, und niemand sieht sie. Dann kam mir die Idee, sie der Muttergottes von Copacabana, der Mutter Boliviens zu überlassen. Und so habe ich diese beiden Auszeichnungen abgegeben, und sie werden ans Heiligtum von Copacabana, zur Muttergottes gehen. Den Christus, hingegen, den nehme ich mit zu mir. Danke.

(Anaïs Feuga)

Während der Messe in Guayaquil haben Sie gesagt, dass die Synode eine echte Unterscheidung reifen lassen müsse, um konkrete Lösungen für die Schwierigkeiten der Familien zu finden. Und dann haben Sie die Menschen aufgefordert darum zu beten, damit Gott sogar das, was uns unrein erscheint, uns ein Ärgernis ist oder uns erschreckt, „in ein Wunder verwandeln“ könne, wie Sie sagten. Können Sie uns genauer erklären, auf welche „unreinen“ oder „erschreckenden“ oder „skandalösen“ Situationen Sie sich bezogen haben?

(Papst Franziskus)

Auch hier wende ich die Hermeneutik des Textes an. Ich sprach über das Wunder vom guten Wein [bei der Hochzeit zu Kana] und sagte, dass die Wasserkrüge gefüllt waren, aber für die Reinigung. Das heißt, jeder, der zu diesem Fest kam, nahm seine Reinigung vor und hinterließ seine geistigen Unsauberkeiten. Es ist ein Ritus der Reinigung, bevor man in ein Haus oder auch in den Tempel eintritt. Ein Ritus, den wir heute mit dem Weihwasser vornehmen: Das ist von jenem jüdischen Ritus geblieben. Ich habe gesagt, dass Jesus den besten Wein gerade aus dem Wasser der Unreinheiten, des Schlechtesten, macht. Ich wollte ganz allgemein so kommentieren: Die Familie ist in der Krise, das wissen wir alle, es genügt, das Instrumentum laboris zu lesen, das Sie gut kennen, denn es ist Ihnen vorgestellt worden; es ist da… Auf all das habe ich mich bezogen, ganz allgemein: dass der Herr uns von dieser Krise reinigen möge, von so vielen Dingen, die in jenem Buch, dem Instrumentum laboris, beschrieben sind. Es ist etwas Allgemeines; ich habe an keinen speziellen Punkt gedacht. Dass er uns besser mache, dass er uns zu reiferen, besseren Familien mache. Die Familie ist in der Krise; möge der Herr uns reinigen, und wir gehen voran. Aber die Besonderheiten dieser Krise stehen alle im Instrumentum laboris der Synode, das fertiggestellt ist, und Sie haben es.

(Javier Martínez Brocal – ROME REPORTS)

Heiligkeit, vielen Dank für diesen Dialog, der uns persönlich und auch in unserer Arbeit sehr hilfreich ist. Ich stelle meine Frage auch im Namen aller spanisch sprechenden Journalisten. Wir haben gesehen, wie gut die Vermittlung zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten gegangen ist. Denken Sie, dass man etwas Ähnliches in anderen heiklen Situationen des lateinamerikanischen Kontinents machen könnte – ich denke an Venezuela und auch an Kolumbien? Und dann habe ich noch eine neugierige Frage: Ich denke an meinen Vater, der einige Jahre jünger ist als Sie, aber nur die Hälfte Ihrer Energie hat. Das haben wir auf dieser Reise gesehen, wir haben es in diesen zweieinhalb Jahren gesehen. Was ist Ihr Geheimnis?

(Papst Franziskus)

Was ist Ihre „Droge“, möchte er fragen… [er lacht], das war die Frage!

Der Prozess zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten war keine Vermittlung. Er hatte nicht den Charakter einer Vermittlung. Es gab einen Wunsch, der angekommen ist. Auf der anderen Seite ebenfalls, ein Wunsch…Und dann – um ehrlich zu sein, das war im Januar letzten Jahres –dann sind drei Monate vergangen, in denen ich nur darüber gebetet habe, ich habe mich nicht entschieden…Was kann man mit diesen beiden machen, nachdem sie über fünfzig Jahre in dieser Situation sind? Dann aber hat der Herr mich an einen Kardinal denken lassen. Er ist dort hingegangen, hat gesprochen, und ich habe nichts weiter gehört… Monate sind vergangen. Und eines Tages hat mir der Staatssekretär – der hier ist – gesagt: „Morgen werden wir die zweite Versammlung mit den beiden Arbeitsgruppen haben“ – „Wie?“ – „Ja, sie sprechen miteinander, die beiden Gruppen sind im Gespräch miteinander und sind dabei…“ Von allein ist es so gekommen, es war keine Vermittlung, es war der gute Wille der beiden Länder; es ist ihr Verdienst, sie sind es, die das getan haben. Wir haben fast nichts getan, nur kleine Dinge, und Mitte Dezember wurde es verkündet. Das ist die Geschichte, wirklich, nichts mehr.

Mir geht es in diesem Moment darum, dass der Friedensprozess in Kolumbien nicht zum Stillstand kommt. Das muss ich sagen, und ich wünsche mir, dass dieser Prozess vorankommt. In diesem Sinn sind wir immer bereit zu helfen, auf viele verschiedene Weisen. Aber es wäre schlimm, wenn er nicht vorankommen könnte. In Venezuela arbeitet die Bischofskonferenz, um ein bisschen Frieden zu stiften, aber auch dort gibt es keinerlei Vermittlung. In dem Fall der Vereinigten Staaten [und Kuba] waren es der Herr und zwei zufällige Umstände, und dann es von allein weitergegangen. Für Kolumbien habe ich diesen Wunsch und bete – und wir müssen beten! –, dass dieser Prozess nicht zum Stillstand kommt. Es ist ein Prozess, der auch dort seit über fünfzig Jahren andauert, und wie viele Tote! Ich habe gehört, dass es Millionen sind. Über Venezuela kann ich Ihnen nichts weiter sagen.

Ach so, die „Droge“… Nun, der Matetee hilft mir, aber Kokain habe ich nicht probiert. Das ist klar!

(Ludwig Ring-Eifel – KNA)

Heiliger Vater, auf dieser Reise haben wir viele starke Botschaften für die Armen gehört, auch viele starke, manchmal strenge Botschaften für die Reichen und die Mächtigen. Aber etwas, das wir kaum gehört haben, waren Botschaften für die Mittelklasse, das heißt für die Leute, die arbeiten, die ihre Steuern zahlen, für die normalen Leute also. Meine Frage lautet: Warum gibt es in der Lehre des Heiligen Vaters so wenig Botschaften für diese Mittelklasse? Und wenn es eine solche Botschaft gäbe, was würde sie beinhalten?

(Papst Franziskus)

Vielen Dank, das ist eine schöne Korrektur, danke! Sie haben Recht, es ist ein Irrtum meinerseits. Darüber muss ich nachdenken. Ich will etwas dazu sagen, aber nicht, um mich zu rechtfertigen. Sie haben Recht, ich muss ein wenig darüber nachdenken.

Die Welt ist polarisiert. Die Mittelklasse wird kleiner. Die Polarisierung zwischen den Reichen und den Armen ist groß, das ist wahr, und das hat mich vielleicht dazu gebracht, jene nicht zu berücksichtigen. Ich spreche von der Welt; in einigen Ländern ist es nicht so, da geht es sehr gut, aber in der Welt generell ist die Polarisierung deutlich, und die Anzahl der Armen ist groß. Und außerdem, warum spreche ich von den Armen? Weil es im Zentrum des Evangeliums steht; und immer spreche ich von der Armut, indem ich vom Evangelium ausgehe, auch wenn es ein soziologisches Phänomen ist.

Über die Mittelklasse gibt es einige Dinge, die ich gesagt habe, aber ein bisschen „beiläufig“. Doch die einfachen Leute, die gewöhnlichen Menschen, der Arbeiter…sie stellen einen großen Wert dar. Aber ich glaube, Sie haben mir etwas gesagt, was ich tun muss; ich muss die Lehre zu diesem Punkt mehr vertiefen. Ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen für die Hilfe. Danke.

(Vania De Luca – Rai News)

Sie haben in diesen Tagen auf der Notwendigkeit der Wege zur Integration, der sozialen Eingliederung beharrt und sich gegen die Wegwerf-Mentalität ausgesprochen. Sie haben auch Projekte verfochten, die in die Richtung von „gut leben“ gehen. Auch wenn Sie uns schon gesagt haben, dass Sie über die Reise in die Vereinigten Staaten erst noch nachdenken müssen – haben Sie vor, diese Themen vor der UNO und im Weißen Haus ansprechen? Haben Sie, als Sie von diesen Problemkreisen sprachen, auch an jene Reise gedacht?

(Papst Franziskus)

Nein. Ich habe nur an diese konkrete Reise und an die Welt allgemein gedacht. Die augenblicklichen Schulden der Länder der Welt sind furchterregend. Alle Länder haben Schulden, und es gibt ein oder zwei Länder, die die Schulden der großen Länder gekauft haben. Es ist ein weltweites Problem. Aber bei dieser Sache habe ich nicht speziell an die Reise in die Vereinigten Staaten gedacht.

(Courtney Walsh – Fox News)

Heiligkeit, wir haben ein wenig über Kuba gesprochen, das Sie im September besuchen werden, bevor Sie in die Vereinigten Staaten gehen, und über die Rolle des Vatikans bei ihrer Annäherung. Muss Havanna jetzt, da Kuba in der internationalen Gemeinschaft eine wichtigere Rolle haben wird, Ihrer Meinung nach seinen Ruf in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte einschließlich der Religionsfreiheit verbessern? Und glauben Sie, dass Kuba Gefahr läuft, in dieser neuen Beziehung zum mächtigsten Land der Welt etwas zu verlieren?

(Papst Franziskus)

Die Menschenrechte gelten für alle, und sie werden nicht nur in einem oder zwei Ländern nicht respektiert. Ich behaupte, dass die Menschenrechte in vielen Ländern der Welt nicht respektiert werden, in vielen Ländern der Welt! Und was verliert Kuba, und was verlieren die Vereinigten Staaten? Beide werden etwas gewinnen und etwas verlieren, denn bei Verhandlungen ist es so. Doch das, was sie alle beide gewinnen, ist der Friede. Das ist sicher. Die Begegnung, die Freundschaft, die Zusammenarbeit: das ist der Gewinn. Was sie verlieren werden, kann ich mir nicht vorstellen; es werden konkrete Dinge sein, doch bei Verhandlungen ist es immer so, dass man sowohl gewinnt als auch verliert. Um auf die Menschenrechte und die Religionsfreiheit zurückzukommen: Denken Sie nur daran, dass es in der Welt Länder gibt, auch einige europäische Länder, die dir – aus verschiedenen Gründen – nicht einmal ein religiöses Zeichen gestatten. Und genauso in anderen Kontinenten. Jawohl. In aller Welt wird die Religionsfreiheit nicht respektiert, es gibt viele Länder, in denen sie nicht respektiert wird.

(Benedicte Lutaud)

Heiligkeit, Sie gebärden sich als der neue weltweite Führer der alternativen Politikprogramme. Ich möchte wissen, warum Sie sehr auf die Volksbewegungen setzen und weniger auf die Welt des Unternehmertums; und ob Sie glauben, dass die Kirche Ihnen folgen wird in Ihrer Haltung, den Volksbewegungen, die sehr laikal sind, Ihre Hand entgegenzustrecken.

(Papst Franziskus)

Danke! Die Welt der Volksbewegungen ist eine Realität; eine sehr große Realität in der ganzen Welt. Und ich, was habe ich getan? Was ich getan habe, ist, ihnen die Soziallehre der Kirche zu geben, dasselbe, was ich auch mit der Welt des Unternehmertums tue. Es gibt eine Soziallehre der Kirche. Wenn Sie lesen, was ich den Volksbewegungen gesagt habe – es ist eine ziemlich umfangreiche Rede – [werden Sie sehen[, es ist eine Zusammenfassung der Soziallehre der Kirche, aber auf ihre Situation bezogen. Doch es ist die Soziallehre der Kirche. Alles, was ich gesagt habe, ist Soziallehre der Kirche, und wenn ich zur Welt des Unternehmertums sprechen muss, sage ich dasselbe, nämlich was die Soziallehre der Kirche dem Unternehmertum sagt. In Laudato si‘ gibt es zum Beispiel einen Abschnitt über das Gemeinwohl und auch über die soziale Schuld des Privateigentums, der in diese Richtung geht. Doch das ist eine Anwendung der Soziallehre der Kirche.

(Benedicte Lutaud fragt nach)

Glauben Sie, dass die Kirche Ihnen mit dieser ausgestreckten Hand folgt?

(Papst Franziskus)

Ich bin es, der hier der Kirche folgt, denn ich predige dieser Bewegung einfach die Soziallehre der Kirche. Es ist nicht eine ausgestreckte Hand zu einem Feind, es ist kein politisches Faktum, nein. Es ist ein katechetisches Faktum. Ich will, dass das klar ist. Danke.

(Cristina Cabrejas)

Heiliger Vater, haben Sie nicht ein wenig Angst, dass Sie und Ihre Reden von den Regierungen, den Machtgruppen und den Bewegungen für ihre jeweiligen Zwecke missbraucht werden? Danke.

(Papst Franziskus)

Ich wiederhole ein bisschen, was ich zu Beginn sagte. Jedes Wort, jeder Satz einer Rede kann instrumentalisiert werden. Es ist das, wonach mich der ecuadorianische Journalist fragte. Von ein und demselben Satz behaupteten einige, er sei eine Unterstützung für die Regierung, und die anderen, er sei gegen die Regierung gerichtet. Darum habe ich mir erlaubt, von der umfassenden Hermeneutik zu sprechen. Immer gibt es diesen Missbrauch für eigene Zwecke. Manchmal kommen Nachrichten, die einen Satz herausgreifen, losgelöst aus seinem Kontext. Nein, ich habe keine Angst, ich sage nur: Schaut auf den Kontext! Wenn ich mich irre, schäme ich mich etwas und bitte um Verzeihung – und dann gehe ich voran.

(Cristina Cabrejas fügt hinzu)

Erlauben Sie mir einen Scherz: Was halten Sie von all diesen „Eigenfotos“, den „Selfies“ während der Messe, die die Jugendlichen, die Kinder, die Kollegen machen?

(Papst Franziskus)

Was ich davon halte? Es ist eine andere Kultur. Ich fühle mich wie ein Urgroßvater. Als ich mich heute verabschiedete, sagte mir ein Polizist – ein großer Mann von etwa vierzig Jahren –: „Ich mache ein Selfie.“ Ich habe ihm geantwortet: „Aber bist du denn ein Teenager?“ – Ja, es ist eine andere Kultur, doch ich respektiere sie.

(Andera Tornielli)

Heiliger Vater, alles in allem, welche Botschaft haben Sie der lateinamerikanischen Kirche in diesen Tagen geben wollen? Und welche Rolle kann die lateinamerikanische Kirche spielen, auch als Zeichen in der Welt?

(Papst Franziskus)

Die lateinamerikanische Kirche besitzt einen großen Reichtum: Es ist eine junge Kirche, und das ist wichtig. Eine junge Kirche mit einer gewissen Frische, auch mit einigen Formlosigkeiten; sie ist nicht so sehr formell. Außerdem hat sie eine reiche Theologie, eine Theologie auf der Suche. Ich habe dieser jungen Kirche Mut machen wollen, und ich glaube, dass diese Kirche uns viel geben kann. Ich erwähne etwas, das mich sehr beeindruckt hat. In allen drei Ländern – in allen dreien! – standen entlang der Straßen die Väter und Mütter mit ihren Kindern; sie zeigten ihre Kinder. Nie habe ich so viele Kinder gesehen, so viele Kinder! Es ist ein Volk – und ebenso die Kirche –, das eine Lehre ist für uns, für Europa, wo der Geburtenrückgang etwas erschreckend ist und es auch nur wenig politische Programme zur Unterstützung kinderreicher Familien gibt. Ich denke an Frankreich, das eine schöne Politik zur Förderung kinderreicher Familien betreibt und bei einer Geburtenrate von – glaube ich – zwei Prozent angelangt ist, während andere – wenn auch nicht alle – auf null zugehen. Ich glaube, in Albanien sind fünfundvierzig Prozent der Bevölkerung weniger als vierzig Jahre alt, aber in Paraguay sind es über siebzig Prozent! Der Reichtum dieses Volkes und dieser Kirche besteht darin, dass es eine lebendige Kirche ist. Das ist ein großer Schatz: eine Kirche des Lebens. Das ist wichtig. Ich denke, wir müssen davon lernen und uns korrigieren, denn andernfalls, wenn keine Kinder kommen… Das ist es, was mich an der „Aussonderung“ so sehr trifft: Die Kinder werden „ausgesondert“, die Alten werden „ausgesondert“ und im Zuge des Arbeitsmangels werden auch die Jugendlichen „ausgesondert“. Darum geben uns die neuen, die jungen Völker mehr Kraft. Was nun die Botschaft für die Kirche betrifft, die ich als eine junge Kirche bezeichnen würde – mit vielen Problemen, denn die hat sie –, fällt mir dieses ein: Keine Angst haben wegen dieser Jugend und dieser Frische der Kirche! Es mag auch eine etwas undisziplinierte Kirche sein, doch mit der Zeit wird sie Disziplin annehmen, und sie gibt uns so viel Gutes.

 



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