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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH ECUADOR, BOLIVIEN UND PARAGUAY

(5.-13. JULI 2015)

 

BEGEGNUNG MIT DEN VERTRETERN
DES ÖFFENTLICHEN LEBENS

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Kathedrale von La Paz, Bolivien
Mittwoch, 8. Juli 2015

[Multimedia]


 


Lieber Bruder, Herr Präsident,
Schwestern und Brüder,

ich freue mich über diese Begegnung mit Ihnen, den Vertretern der Politik und des öffentlichen Lebens in Bolivien, den Mitgliedern des Diplomatischen Korps und den Persönlichkeiten aus der Welt der Kultur und der ehrenamtlichen Tätigkeiten. Ich danke meinem Mitbruder, dem Erzbischof dieser Kirche von La Paz Edmundo Abastoflor, für seine herzliche Begrüßung. Bitte gestatten Sie mir, dass ich mit einigen Worten der Ermutigung antworte, was die Aufgabe eines jeden von Ihnen betrifft, die Sie bereits tun. Und ich danke Ihnen für die Zusammenarbeit, die Sie mit dem herzlichen Empfang unter Beweis stellen und mir geben, damit ich weiter fortschreiten kann. Vielen Dank.

Wir alle hier Anwesende teilen ein jeder auf seine Weise die Berufung, für das Gemeinwohl zu arbeiten. Vor 50 Jahren hat das Zweite Vatikanische Konzil das Gemeinwohl bezeichnet als „die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen“ (Gaudium et spes, 26). Danke Ihnen für Ihr Bestreben – gemäß Ihrer jeweiligen Rolle und Aufgabe –, dass die Menschen und die Gesellschaft sich entwickeln, die Vollendung erreichen. Ich bin mir sicher, dass Sie bei diesem Einsatz für das Gemeinwohl nach dem Schönen, Wahren und Guten streben. Möge diese Anstrengung immer beitragen zu einem Wachstum in einer größeren Achtung für die menschliche Person als solcher mit ihren grundlegenden und unveräußerlichen Rechten im Hinblick auf ihre ganzheitliche Entwicklung sowie in einem größeren Respekt für den sozialen Frieden, das heißt der Stabilität und der Sicherheit einer bestimmten Ordnung, die ohne ein besonderes Augenmerk auf die distributive Gerechtigkeit nicht zu verwirklichen ist (vgl. Enzyklika Laudato si’, 157). Kurz gesagt, dass der Reichtum sich verteile.

Auf dem Weg vom Flughafen zur Kathedrale konnte ich die Gipfel des Hayna Potosi und des Illimani bewundern, des „jungen Berges“ und des Berges, der auf den „Ort, von dem aus die Sonne aufgeht“, weist. Ich habe auch gesehen, wie sich viele Häuser und Viertel kunstgerecht mit den Hängen vermischten, und habe einige Werke ihrer Baukunst bewundert. Die natürliche Umwelt und die soziale, politische und wirtschaftliche Umwelt stehen in enger Beziehung zueinander. Dies treibt uns an, die Grundlagen zu einer ganzheitlichen Ökologie – es ist eine Frage der Gesundheit – zu legen, zu einer ganzheitlichen Ökologie, die klar alle menschlichen Dimensionen einschließt, um die ernsten Umwelt- und Sozialprobleme unserer Tage zu lösen … Andernfalls werden die Gletscher auf diesen Bergen weiter zurückgehen, und auch die Logik des Empfangens, das Bewusstsein für die Welt, die wir denen, die nach uns kommen, hinterlassen wollen, ihre allgemeine Ausrichtung, ihr Sinn und ihre Werte werden sich wie diese Gletscher zurückziehen (vgl. Enzyklika Laudato si’, 159-160). Und dessen muss man sich bewusst werden. Eine ganzheitliche Ökologie – würde ich sagen – setzt voraus: eine Ökologie der Mutter Erde, d.h. für die Erde sorgen, eine Humanökologie, d.h. füreinander sorgen, und eine Sozialökologie, um das Wort zu strapazieren.

Da alles in Beziehung zueinander steht, brauchen wir einander. Wenn sich die Politik von der Finanzspekulation beherrschen lässt oder die Wirtschaft sich nur nach dem technokratischen und utilitaristischen Paradigma der maximalen Produktion richtet, dann wird man auch die großen Probleme, welche die Menschheit betreffen, nicht verstehen, geschweige denn lösen können. Es ist auch die Kultur vonnöten, zu der nicht nur die Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten des Menschen in der Wissenschaft und die Fähigkeit, in der Kunst Schönheit zu schaffen, gehören, sondern auch die örtlichen Volkstraditionen – sie sind ebenso Kultur – mit ihrer besonderen Sensibilität für die Umwelt, aus der sie hervorgegangen sind und aus der sie hinausgehen, und für die Umwelt, die ihnen Sinn verleiht. Gleichermaßen braucht es eine ethische und moralische Bildung, die zu einer Haltung der Solidarität und der Mitverantwortung unter den Menschen erzieht. Wir müssen die spezifische Rolle der Religionen bei der Entwicklung der Kultur und den Nutzen, den sie für die Gesellschaft beisteuern können, anerkennen. Die Christen insbesondere, als Jünger der Guten Nachricht sind wir Träger einer Heilsbotschaft, die in sich über die Fähigkeit verfügt, die Menschen zu veredeln und zu hohen Idealen anzuregen – Ideale, die in der Lage sind, zu Handlungslinien zu bewegen, die über individuelle Interessen hinausgehen, und darauf einzustimmen, die Fähigkeit zu Verzicht zugunsten anderer, die Solidarität und die anderen Tugenden, die uns halten und vereinen, zu entwickeln. Diese Tugenden werden in Ihrer Kultur sehr einfach in diesen drei Geboten zum Ausdruck gebracht: nicht lügen, nicht stehlen und nicht faul sein.

Wir müssen aber auf der Hut sein, denn sehr leicht gewöhnen wir uns an das Umfeld der Ungleichheit, die uns umgibt, dass wir unsensibel geworden sind für ihre Äußerungen. Und so verwechseln wir, ohne es zu bemerken, das „Gemeinwohl“ mit „Wohlstand“; und so gleitet man hier ganz allmählich ab, und das Ideal des Gemeinwohls, da es eben verloren geht, wird am Ende zum Wohlstand, vor allem dann, wenn wir selbst diejenigen sind, die ihn genießen und nicht die anderen. Der Wohlstand, der sich allein auf den materiellen Überfluss bezieht, neigt dazu, egoistisch zu sein, er neigt dazu, parteiische Interessen zu verteidigen, nicht an die anderen zu denken und der Versuchung des Konsumismus nachzugeben. So verstanden brütet der Wohlstand, anstatt zu helfen, mögliche Konflikte und soziale Auflösung aus. Als beherrschende Sicht, die sich durchgesetzt hat, gebiert er das Übel der Korruption, das sehr entmutigt und großen Schaden anrichtet. Das Gemeinwohl hingegen ist mehr als die Summe der Einzelinteressen; es ist der Schritt von dem, was „besser für mich“ ist, zu dem, was „besser für alle“ ist, und beinhaltet all das, was einem Volk Zusammenhalt verleiht: gemeinsame Ziele, gemeinsame Werte, Ideale, die helfen, den Blick über die individuellen Horizonte hinaus zu richten.

Die verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsträger haben die Verantwortung, zum Aufbau der Einheit und der Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. Die Freiheit ist stets der beste Kontext, damit die Denker, die Bürgervereinigungen, die Kommunikationsmittel mit Eifer und Kreativität ihre Funktion im Dienst des Gemeinwohls ausüben. Auch die Christen, die berufen sind, Sauerteig im Volk zu sein, bringen ihre Botschaft in die Gesellschaft ein. Das Licht des Evangeliums Christi ist nicht Eigentum der Kirche; sie dient ihm vielmehr: die Kirche muss dem Evangelium Christi dienen, damit es die Grenzen der Erde erreicht. Der Glaube ist ein Licht, das nicht blendet. Die Ideologien blenden, der Glaube blendet nicht. Der Glaube ist ein Licht, das nicht verdunkelt, sondern voll Respekt das Gewissen und die Geschichte jedes Menschen und jedes menschlichen Miteinander erhellt und leitet. Respekt – Das Christentum hat bei der Bildung der Identität des bolivianischen Volkes eine wichtige Rolle gespielt. Die Religionsfreiheit – so wie dieser Ausdruck gewöhnlich im öffentlichen Bereich verstanden wird – erinnert uns auch daran, dass der Glaube nicht auf die bloße Privatsphäre reduziert werden kann. Das Christentum ist keine Subkultur. Es wird eine Herausforderung für uns sein, entsprechend zu ermutigen und zu fördern, dass die christliche Spiritualität und der Einsatz des Glaubens, der christliche Einsatz in sozialen Werken sprießt und mittels der sozialen Werke zur Ausweitung des Gemeinwohls aufblüht.

Unter den gesellschaftlichen Handlungsträgern möchte ich die Familie hervorheben, die allseits bedroht ist durch viele Faktoren, durch häusliche Gewalt, Alkoholismus, Chauvinismus, Drogenabhängigkeit, Arbeitslosigkeit, öffentliche Unsicherheit, Vernachlässigung der alten Menschen, Straßenkinder und durch die Annahme von Pseudolösungen, die von Sichtweisen stammen, die nicht gesund sind für die Familie, weil sie klar von ideologischen Kolonisierungen herkommen. Viele sind die sozialen Probleme, welche die Familie löst und die sie in Stille löst, es sind sehr viele. Die Familie nicht zu fördern heißt die Schwächsten ohne Schutz zu lassen.

Eine Nation, die das Gemeinwohl anstrebt, kann sich nicht in sich selbst verschließen. Die Netze der Beziehungen festigen die Gesellschaften. Das Problem der Migration in unseren Tagen zeigt es. Die Entwicklung der Diplomatie mit den Nachbarländern, um Konflikte zwischen Brudervölkern zu vermeiden und zum freimütigen und offenen Dialog über die Probleme beizutragen, ist heute unerlässlich. Und hier denke ich an die Frage des Meeres [Anspielung auf den Streit wegen eines Meerzugangs für Bolivien.]. Dialog ist unerlässlich. Brücken bauen anstatt Mauern aufrichten. – Brücken bauen anstatt Mauern aufrichten. – Für alle Themen, so heikel sie auch sein mögen, gibt es gemeinsame Lösungen, gibt es vernünftige, gerechte und dauerhafte Lösungen. Und in jedem Fall dürfen sie nie Grund zu Aggressivität, Argwohn oder Feindschaft sein, welche die Situation weiter verschlimmern und die Lösung schwieriger machen.

Bolivien macht gerade einen historischen Moment durch: die Politik, die Welt der Kultur, die Religionen nehmen teil an dieser schönen Herausforderung der Einheit. In diesem Land, wo die Ausbeutung, die Geldgier, die vielfachen Egoismen und die sektiererischen Sichtweisen seine Geschichte überschattet haben, kann heute die Zeit der Integrationen stattfinden. Und man muss diesen Weg gehen. Heute kann Bolivien, ist Bolivien mit seinem Reichtum in der Lage, „neue kulturelle Synthesen zu schaffen“. Wie schön sind die Länder, die das krankhafte Misstrauen überwinden und die anderen mit ihrer Verschiedenheit eingliedern und aus dieser Integration einen Entwicklungsfaktor machen! Wie schön sind sie, wenn sie reich sind an Räumen, die verbinden, in Beziehung setzen und die Anerkennung des anderen begünstigen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 210)! Bolivien ist bei seiner Integration und bei seiner Suche nach Einheit gerufen, diese „vielgestaltige Harmonie, die anzieht“ (ebd., 117), zu sein, die anzieht, den Weg zu gehen bis zur Konsolidierung der großen Heimat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich bitte den Herrn, dass Bolivien, „diese reine und schöne Erde“, immer weiter voranschreitet, um diese „glückliche Heimat, wo die Menschheit das Gut der Glückseligkeit und des Friedens lebt“, zu sein. Die Jungfrau Maria behüte Sie, und der Herr schenke ihnen reichen Segen. Und bitte, ich bitte Sie, vergessen Sie nicht, für mich zu beten. Vielen Dank.

 

 



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