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APOSTOLISCHE REISE DES HEILIGEN VATERS 
NACH LITAUEN, LETTLAND UND ESTLAND

[22.-25. SEPTEMBER 2018]

PRESSEKONFERENZ MIT DEM HEILIGEN VATER
AUF DEM RÜCKFLUG VON TALLIN (ESTLAND)

Dienstag, 25. September 2018

[Multimedia]


 

Greg Burke:

Guten Abend, Heiliger Vater. Vor allem danke. Drei Länder in vier Tagen, das ist nicht ganz einfach, das ist ein bisschen anstrengend .... Es schien ein wenig, als seien es vier Länder in vier Tagen gewesen, denn am ersten Tag gab es die Überraschung zu China, also haben wir auch das getan: wir haben uns China genähert. Versuchen wir, beim Thema zu bleiben – das haben wir schon oft gesagt – und über die Reise zu sprechen. Natürlich werden wir mit den Journalisten aus jedem Land der Reise beginnen, aber versuchen wir in der Pressekonferenz über die Reise in die baltischen Länder zu sprechen. Ich weiß nicht, ob Sie vorher etwas sagen wollen ...

Papst Franziskus:

Zunächst einmal vielen Dank für die Arbeit, die Sie geleistet haben, denn auch für Sie ist das nicht einfach, drei Länder in vier Tagen. Vor allem der Wechsel von einem Ort zum nächsten ist anstrengend. Vielen Dank für die Berichte, die Sie den Menschen über diese Reise geben, was das Wichtigste Ihrer Berichterstattung ist: das, was dort passiert ist ... Es gibt bei dieser Reise sehr interessante Dinge, und ich erwarte mir Fragen in diesem Sinn.

Greg Burke:

Danke. Die erste ist Saulena Žiugždaite von Bernardinai.LT (Litauen).

Saulena Žiugždaite:

Heiliger Vater, danke für diesen Moment und für die ganze Reise. Als Sie in Vilnius über die litauische Seele gesprochen haben, sagten Sie, dass wir eine Brücke zwischen Ost und West sein sollen. Aber es ist nicht einfach, eine Brücke zu sein: Man wird immer von anderen überquert. Einige sagen, unsere Tragödie ist, dass wir uns auf der Brücke befinden. Einer könnte auch sagen: „Es ist definitiv besser, Teil des Westens mit seinen Werten zu werden.“ Was meinten Sie damit, was bedeutet es, eine Brücke zu sein?

Papst Franziskus:

Es stimmt .... Es ist offensichtlich, dass Ihr Land heute politisch zum Westen, zur Europäischen Union gehört, und Sie haben viel dafür getan, um der Europäischen Union beizutreten. Nach der Unabhängigkeit haben Sie sofort alles Erforderliche erfüllt, was nicht einfach ist, und es ist Ihnen gelungen, der Europäischen Union beizutreten, was eine Zugehörigkeit zum Westen bedeutet. Sie haben auch Beziehungen zur NATO: Sie gehören der NATO an, und das bedeutet Westen. Wenn Sie nach Osten schauen, sehen Sie da Ihre Geschichte: eine harte Geschichte. Ein Teil der tragischen Geschichte kam auch aus dem Westen, von den Deutschen, von den Polen, aber vor allem vom Nationalsozialismus, dieser Teil kam aus dem Westen. Und was den Osten betrifft, vom Russischen Reich.

Brücken zu bauen verlangt und erfordert Stärke. Stärke nicht nur aus Ihrer Zugehörigkeit zum Westen, was Ihnen Stärke verleiht, sondern auch aus Ihrer Identität. Mir ist bewusst, dass die Situation in den drei baltischen Staaten immer in Gefahr ist, immer. Die Angst vor Invasion .... Weil eben die Geschichte Sie daran erinnert. Und Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass das nicht einfach ist, aber es ist eine Partie, die jeden Tag gespielt wird, Schritt für Schritt: über die Kultur, durch Dialog ... Es ist jedoch nicht einfach. Ich glaube, es ist unser aller Pflicht, Ihnen dabei zu helfen. Ihnen nicht nur zu helfen, sondern Ihnen im Herzen nahe zu sein.

Greg Burke:

Danke, Heiliger Vater. Die nächste Frage kommt von Gints Amolins von Latvijas Radio (Lettland).

Gints Amolins:

Guten Tag, Heiligkeit. In den baltischen Ländern haben Sie oft über die Bedeutung von Wurzeln und Identität gesprochen. Aus Lettland, aber auch aus Litauen und Estland, sind viele Menschen in wohlhabendere Länder gegangen und viele lassen sich dort schon fest nieder. Und dann gibt es, wie in Europa im Allgemeinen, auch demographische Probleme wegen der niedrigen Geburtenrate. Was können und sollten unsere Länder also in dieser Situation tun, die Verantwortlichen unserer Länder und auch jeder persönlich? Wie sollte man dieses Problem einschätzen?

Papst Franziskus:

In meiner Heimat kannte ich keine Menschen aus Estland und Lettland, während die litauische Einwanderung – relativ gesehen – sehr stark ist. Es gibt viele von ihnen in Argentinien. Und sie bringen ihre Kultur und Geschichte dorthin mit; sie sind stolz auf ihr doppeltes Bemühen, sich in das neue Land einzugliedern und auch ihre Identität zu bewahren. Bei ihren Festen sieht man traditionelle Kleidung, hört man traditionelle Lieder, und immer, sooft sie können, kehren sie auf Besuch in ihre Heimat zurück ... Ich denke, der Kampf um die Bewahrung ihrer Identität macht sie sehr stark; und Ihr Volk hat das: es hat eine starke Identität. Eine Identität, die sich im Leiden, in der Verteidigung und Arbeit, in der Kultur herausgebildet hat.

Und was kann man tun, um die Identität zu verteidigen? Die Rückkehr zu den Wurzeln ist wichtig. Die Identität ist etwas Altes, das jedoch weitergegeben werden muss. Identität ist ein Bestandteil der Zugehörigkeit zu einem Volk, und die Zugehörigkeit zu einem Volk muss vermittelt werden. Die Wurzeln müssen an die neuen Generationen weitergegeben werden, und zwar durch Bildung und Dialog, insbesondere zwischen Alt und Jung. Und das müssen Sie tun, denn Ihre Identität ist ein Schatz. Jede Identität ist ein Schatz, aber als Zugehörigkeit zu einem Volk verstanden. Das ist es, was mir in den Sinn kommt; ich weiß nicht, ob das Ihrer Frage entspricht ...

Greg Burke:

Danke, Heiliger Vater. Und jetzt, Evelyn Kaldoja von Postimees (Estland).

Evelyn Kaldoja:

Danke. Ich möchte die Frage auf Englisch stellen. In der heutigen Predigt haben Sie gesagt, dass es einige gibt, die nach dem Einsatz von Waffen und Armeen usw. rufen und damit drohen. Wenn man bedenkt, wo wir stehen, auf eben diesem Platz waren NATO-Soldaten, die zur Garantie nach Estland geschickt wurden. Viele haben an die Situation an den Ostgrenzen Europas gedacht. Sind Sie besorgt über die Spannungen in diesem Gebiet und über die Katholiken, die am Rande Europas leben?

Papst Franziskus:

Die Bedrohung durch Waffen. Heutzutage sind die weltweiten Ausgaben für Waffen skandalös. Man sagte mir, dass man mit dem, was man in einem Monat für Waffen ausgibt, alle Hungernden der Welt ein Jahr lang ernähren könnte. Ich weiß nicht, ob das wahr ist, es ist schrecklich. Die Rüstungsindustrie, der Waffenhandel, auch der Waffenschmuggel gehören zu den größten Formen der Korruption. Und dem geht die Logik der Verteidigung voraus. David konnte mit einer Schleuder und fünf Steinen siegen, aber heute gibt es keine Davids. Ich denke, dass es zur Verteidigung eines Landes eine angemessene und nicht aggressive Verteidigungsarmee braucht. Angemessen und nicht aggressiv. So ist Verteidigung legitim; und es ist auch eine Ehre, die Heimat so zu verteidigen. Das Problem entsteht, wenn etwas aggressiv wird, unverhältnismäßig und wenn Grenzkriege geführt werden. Wir haben viele Beispiele für Grenzkriege, nicht nur in Europa, im Osten, sondern auch auf anderen Kontinenten: Man streitet um Macht, um ein Land zu kolonialisieren. Das ist meiner Meinung nach die Antwort auf Ihre Frage. Die Rüstungsindustrie heute ist skandalös angesichts einer hungernden Welt. Zweitens: Es ist legitim und vernünftig, eine Armee zur Verteidigung der Grenzen zu haben, denn das ist ehrenvoll; so wie es legitim ist, einen Haustürschlüssel zu haben. Zum Schutz.

Greg Burke:

Danke, Heiliger Vater. Die nächste Frage kommt von der deutschen Gruppe: Stefanie Stahlhofen von der Deutschen Katholischen Agentur CIC (Deutschland).

Stefanie Stahlhofen:

Heiliger Vater, beim ökumenischen Treffen in Tallin haben Sie gesagt, dass die jungen Menschen hinsichtlich der Sex-Skandale keine klare Verurteilung durch die katholische Kirche sehen. In Deutschland ist genau heute eine neue Untersuchung über sexuellen Missbrauch erschienen und darüber, wie die Kirche mit vielen dieser Fälle umgegangen ist.

Papst Franziskus:

Darüber werde ich später sprechen. Ich beantworte zuerst die Fragen zur Reise. Danke. So ist es vorgesehen. Aber das wird die erste Frage nach denjenigen zur Reise sein.

Greg Burke:

Bleiben wir bei der Reise ...

Hier kommt ein Journalist vom Litauischen Radio und Fernsehen.

Edvardas Spokas:

Ich werde Englisch sprechen. In allen drei Ländern haben Sie sich für Offenheit ausgesprochen: Offenheit gegenüber Migranten, Offenheit gegenüber dem anderen. Aber in Litauen gab es zum Beispiel eine Auseinandersetzung wegen eines Mädchens, das Sie nach der Landung vor dem Flugzeug begrüßt hat: sie sah nicht ganz litauisch aus. Sie war zum Teil italienisch, mit einer leicht dunklen Hautfarbe … Meine Frage ist: Hören die Menschen in den baltischen Ländern nur das, was sie von Ihnen hören wollen, oder hören sie auf das, was Sie ihnen zu sagen versuchen? Hören sie auf Ihre Botschaft der Offenheit?

Papst Franziskus:

Die Botschaft der Offenheit gegenüber Migranten ist in Ihrem Volk ziemlich weit vorangekommen, es gibt keinen heftigen Populismus, nein. Auch Estland und Lettland sind offene Völker, die Migranten integrieren wollen, aber nicht massiv, weil es aus nicht möglich ist, sondern durch Klugheit der Regierung integrieren. Wir haben mit zwei der drei Staatsoberhäuptern darüber gesprochen, und sie haben das Thema angesprochen, nicht ich. Und in den Reden der Präsidenten werden Sie sehen, dass das Wort „Aufnahme“, „Offenheit“ häufig vorkommt. Dies deutet auf den Wunsch nach Universalität hin, soweit es möglich ist aufgrund des Platzes, der Arbeit usw.; soweit es möglich ist zu integrieren – das ist sehr wichtig – und soweit es keine Bedrohung für die eigene Identität darstellt. Das sind drei Dinge, die ich über die Migrationen von Menschen verstanden habe. Und das ist mir wichtig geworden: kluge und durchdachte Öffnung. Ich weiß nicht, ob Sie an etwas anderes denken.

Edvardas Spokas:

Meine Frage bezog sich darauf, wie Ihre Botschaft aufgenommen wurde.

Papst Franziskus:

Ich denke schon. In dem Sinn, wie ich es gesagt habe. Denn das Problem der Migranten auf der ganzen Welt – und nicht nur die externe, sondern auch die interne Migration auf den Kontinenten – ist heute ein ernstes Problem, es ist nicht einfach, es zu erforschen. In jedem Land, an jedem Ort, an jedem Platz hat es unterschiedliche Konnotationen.

Greg Burke:

Danke, Heiliger Vater, mit den Fragen zur Reise sind wir fertig.

Papst Franziskus:

Sehr gut. Ich möchte Ihnen etwas über einige Punkte der Reise sagen, die ich besonders stark erlebt habe.

Die Tatsache ihrer Geschichte, der Geschichte der baltischen Staaten. Es ist eine Geschichte von Invasionen, Diktaturen, Verbrechen, Deportationen … Als ich in Vilnius das Museum besucht habe – das Wort „Museum“ lässt uns an den Louvre denken … Nein, dieses Museum ist ein Gefängnis, wo die Häftlinge aus politischen oder religiösen Gründen hingebracht wurden. Und ich habe Zellen in der Größe dieses Sitzes hier gesehen, in denen man nur stehen konnte, Folterzellen. Ich habe Orte der Folter gesehen, wo man die Gefangenen in der Kälte, die in Litauen herrscht, nackt hingebracht und mit Wasser übergossen hat; sie blieben dort für Stunden, um ihren Widerstand zu brechen. Und dann bin ich in den Saal, in den großen Raum der Exekutionen gekommen. Die Gefangenen wurden dort mit Gewalt hingeführt und mit einem Genickschuss umgebracht; danach wurden sie mit einen Förderband hinausgebracht und auf einem Lastwagen aufgeladen, um sie in den Wald zu werfen. Pro Tag wurden ungefähr vierzig Gefangene umgebracht. Schließlich waren es circa fünfzehntausend Tote. Dies ist ein Teil der Geschichte Litauens, aber auch der anderen Länder. Das, was ich gesehen habe, war in Litauen. Dann ging ich an den Ort des großen Ghetto, wo Tausende von Juden umgebracht wurden. Am gleichen Nachmittag ging ich dann noch zum Mahnmal des Gedenkens an die Verurteilten, Ermordeten, Gefolterten, Deportierten. An diesem Tage – ich sage Ihnen die Wahrheit – war ich erledigt; er ließ mich über die Grausamkeit nachdenken. Ich sage Ihnen aber, auf der Grundlage der Informationen, die wir heute besitzen, dass die Grausamkeit noch nicht zu Ende ist. Die gleiche Grausamkeit findet sich heute an vielen Orten von Haftanstalten, sie findet sich heute in vielen Gefängnissen. Selbst die Überbelegung eines Gefängnisses ist ein Foltersystem, eine Art und Weise, ohne Würde zu leben. Ein Gefängnis heute, das nicht vorsieht, dem Häftling eine hoffnungsvolle Perspektive zu geben, ist schon eine Folter. Im Fernsehen haben wir die Grausamkeit der Terroristen des IS gesehen: der jordanische Pilot, der bei lebendigem Leib verbrannt wurde; die koptischen Christen, denen an einem Strand in Libyen die Kehlen durchschnitten wurden, und viele andere. Heute ist die Grausamkeit noch nicht zu Ende. Es gibt sie in der ganzen Welt. Und diese Botschaft möchte ich Ihnen als Journalisten mitgeben: Es ist ein Skandal, ein großer Skandal unserer Kultur und unserer Gesellschaft.

Eine weitere Sache, die ich in diesen drei Ländern gesehen habe, ist der Hass [des früheren Regime] gegen die Religion, welche Religion auch immer. Ich habe einen Jesuitenbischof – in Litauen oder in Lettland, ich erinnere mich nicht genau – gesehen, der nach Sibirien deportiert wurde, für zehn Jahre, und dann in ein anderes Lager kam … Jetzt ist er alt und lächelt … Viele Männer und Frauen wurden, weil sie ihren Glauben verteidigten, der ihre Identität bildete, gefoltert, wurden nach Sibirien verschleppt und kamen nicht zurück oder wurden umgebracht. Der Glaube in diesen drei Ländern ist groß; es ist ein Glaube, der eben aus dem Martyrium wächst. Das ist eine Sache, die Sie vielleicht gesehen haben, als Sie mit den Menschen gesprochen haben, wie Sie Journalisten es tun, um etwas über das Land zu erfahren.

Zudem hat diese so wichtige Erfahrung des Glaubens ein einzigartiges Phänomen in diesen Ländern hervorgebracht: ein ökumenisches Leben, wie es das in anderen Ländern nicht gibt, so verbreitet. Es gibt eine echte Ökumene: Ökumene zwischen Lutheranern, Baptisten, Anglikanern und auch Orthodoxen. Gestern in der Kathedrale, beim ökumenischen Treffen in Lettland, in Riga haben wir es gesehen – eine große Sache; Brüder und Schwestern, Nachbarn, gemeinsam in einer einzigen Kirche … Nachbarn. Die Ökumene hat dort Wurzeln geschlagen.

Es gibt noch ein weiteres Phänomen in diesen Ländern, das zu vertiefen wichtig ist, und vielleicht können Sie viel Gutes tun in Ihrem Beruf, wenn Sie das studieren: das Phänomen der Weitergabe der Kultur, der Identität und des Glaubens. Meistens geschah die Weitergabe durch die Großeltern. Warum? Weil die Väter arbeiteten, weil die Väter und Mütter arbeiten mussten, und sie mussten in die Partei eingegliedert sein – sowohl unter dem Sowjet- als auch dem Naziregime – und auch zum Atheismus erzogen werden. Die Großeltern jedoch haben es verstanden, den Glauben und die Kultur weiterzugeben. Als in Litauen der Gebrauch der litauischen Sprache verboten und sie aus den Schulen verbannt war, wurden, wenn sie zum – protestantischen oder katholischen – Gottesdienst gingen, die Gebetbücher kontrolliert, um zu sehen, ob sie in litauischer oder russischer oder deutscher Sprache waren. Und viele – eine Generation in jener Zeit – haben ihre Muttersprache von den Großeltern gelernt: Es waren die Großeltern, die ihnen das Schreiben und Lesen in ihrer Muttersprache beibrachten. Das gibt zu denken, und es wäre schön, manchen Artikel, manchen Fernsehbericht über die Weitergabe der Kultur, der Sprache, der Kunst, des Glaubens zu Zeiten der Diktatur und Verfolgung zu haben. Anderes war nicht denkbar, denn alle Kommunikationsmittel, die damals wenige waren – das Radio –, gehörten dem Staat. Wenn eine Regierung zur Diktatur wird, werden will, dann ist das Erste, was sie tut, die Kommunikationsmittel in ihre Hand zu bringen.

Diese Dinge wollte ich hervorheben.

Nun beziehe ich mich auf das Treffen mit den Jugendlichen heute. Die jungen Menschen nehmen Anstoß – ich greife hier die erste Frage auf, die außerhalb des Themas der Reise lag – die jungen Menschen nehmen Anstoß an der Heuchelei der Großen. Sie nehmen Anstoß an den Kriegen, an der Inkonsequenz, an der Korruption. Und im Zusammenhang mit der Korruption kommen wir zu dem, was Sie angemerkt haben, zu den sexuellen Missbräuchen. Es stimmt, es gibt eine Anklage an die Kirche, und wir alle kennen die Statistiken, die ich hier nicht wiederholen werde. Aber wenn es nur ein einziger Priester gewesen wäre, der einen Jungen, ein Mädchen missbraucht hätte, wäre dies schon schrecklich. Dieser Mann war nämlich von Gott dazu bestimmt, das Kind in den Himmel zu führen. Ich verstehe, dass die Jugendlichen an diesem so großen Verfall Anstoß nehmen. Sie wissen, dass es ihn überall gibt, aber in der Kirche ist es weitaus skandalöser, weil sie die Kinder zu Gott führen soll und sie nicht zerstören darf. Die jungen Menschen versuchen, durch Erfahrung ihren Weg zu finden. Beim Treffen mit den Jugendlichen heute wurde ganz klar: sie fordern, dass man zuhört, sie bitten um Gehör. Sie wollen keine festen Formeln. Sie wollen keine Begleitung in Form von Direktiven. Und der zweite Teil dieser Frage – es war die erste über das Thema der Reise hinaus – bestand darin, dass „die Kirche ihre Sache nicht so macht, wie sie es da tun sollte, in der Aufarbeitung solchen Verfalls“. Ich nehme den Bericht von Pennsylvania zum Beispiel, und wir sehen, dass bis in die Siebzigerjahre viele Priester so tief gefallen sind. In jüngerer Zeit waren es dann weniger, weil die Kirche gemerkt hat, dass sie auf andere Art und Weise dagegen kämpfen musste. In vergangenen Zeiten wurden diese Dinge vertuscht. Auch in den Familien wurden sie vertuscht, wenn ein Onkel die kleine Nichte vergewaltigte, wenn ein Vater die Kinder vergewaltigte: sie wurden vertuscht, weil es eine sehr große Schande war. Dies war die Denkweise der vergangenen Jahrhunderte und der letzten Jahrhunderts. Hier gibt es ein Prinzip, das mir sehr hilft, die Geschichte zu deuten: Ein historisches Ereignis muss mit der Hermeneutik der Zeit, in der dieses Ereignis geschehen ist, gedeutet werden, nicht mit der Hermeneutik von heute. Der Indigenismus, zum Beispiel. Es gab sehr viel Ungerechtigkeit, viel Brutalität. Er kann aber nicht mit der heutigen Hermeneutik gedeutet werden, da wir ein anderes Bewusstsein haben. Ein letztes Beispiel, die Todesstrafe. Auch im Vatikan als Staat, als er Kirchenstaat war, gab es die Todesstrafe. Die letzte Hinrichtung fand um 1870 statt, es handelte sich um einen Verbrecher, einen Jugendlichen. Dann aber wächst das moralische Bewusstsein, das moralische Bewusstsein wächst. Es stimmt, dass es immer Schlupfwege gibt, es immer versteckte Todesurteile gibt: Du bist alt, du bist nur lästig, ich gebe dir keine Medikamente … und dann heißt es: Er ist von uns gegangen. Das ist ein – soziales – Todesurteil heute. Ich meine, damit eine Antwort gegeben zu haben. Die Kirche: Ich nehme das Beispiel Pennsylvania. Schauen Sie auf das Verhältnis der Zahlen und Sie sehen, dass die Kirche, als sie sich dessen bewusst zu werden begann, sich ganz einsetzte. Und in den letzten Jahren habe ich viele, viele Urteile erhalten, welche die Kongregation für die Glaubenslehre erlassen hat; und ich habe gesagt: „Weiter, weiter.“ Nie, nie habe ich nach einer Verurteilung ein Gnadengesuch unterschrieben. Darüber wird nicht verhandelt, da gibt es kein Verhandeln.

Greg Burke:

Anonio Pelayo, von “Vida nueva” Antena 3 (Spanien)

Antonio Pelayo:

Heiliger Vater, vor drei Tagen wurde eine Vereinbarung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung der Volksrepublik China unterzeichnet. Können Sie uns dazu weitere Informationen geben, über den Inhalt? Denn einige chinesische Katholiken, besonders Kardinal Zen, beschuldigen Sie, nach vielen Jahren des Leides die Kirche an die kommunistische Regierung in Peking verkauft zu haben. Was sagen Sie zu dieser Anschuldigung?

Papst Franziskus:

Das ist ein jahrelanger Prozess, ein Dialog zwischen der vatikanischen und der chinesischen Kommission, um die Bischofsernennungen zu regeln. Die vatikanische Arbeitsgruppe war sehr fleißig. Ich möchte einige Namen nennen: Erzbischof Celli, der mit viel Geduld hingereist ist, Dialoge geführt hat und zurückgereist ist … und das über Jahre hinweg! Dann Prälat Rota Gaziosi, ein 72-jähriger demütiger Kurienmitarbeiter, der eigentlich Pfarrer sein wollte, aber in der Kurie verblieben ist, um bei diesem Prozess mitzuhelfen. Und dann Kardinalstaatssekretär Parolin, der ein sehr frommer Mann ist, mit einer besonderen Liebe zur Lupe: Jedes Dokument studiert er bis auf die Punkte, Kommas, Akzente … Und das gibt mir große Sicherheit. Diese Arbeitsgruppe, mit diesen Qualitäten, hat Fortschritte gemacht. Ihr wisst, dass bei einem Friedensvertrag oder bei Verhandlungen beide Seiten etwas verlieren, das ist die Regel. Beide Seiten. Und man macht weiter. Dieser Prozess war genauso: zwei Schritte vorwärts, einer zurück, zwei vor, einer zurück …; dann gab es Monate ohne Gespräche, und dann … Das ist das Zeitmaß Gottes, das dem chinesischen Zeitmaß ähnelt: langsam … Das ist die Weisheit, die Weisheit der Chinesen. Die Lage der Bischöfe, die sich in Schwierigkeiten befanden, wurde Fall für Fall untersucht, und am Schluss kamen die Dossiers auf meinen Schreibtisch und ich bin für die Unterschrift verantwortlich, was die Bischöfe betrifft. Bezüglich der Vereinbarung kamen die Entwürfe auf meinen Schreibtisch, man hat darüber geredet, ich habe meine Ideen geäußert, andere haben darüber diskutiert und weitergearbeitet. Ich muss an den Widerstand denken, an die Katholiken, die gelitten haben: es stimmt, sie werden leiden. Bei einem Abkommen gibt es immer Leid. Aber sie besitzen einen großen Glauben und schreiben oder teilen ihr Überzeugung mit, dass das, was der Heilige Stuhl, was Petrus sagt, das ist, was Jesus sagt: das heißt, der „Märtyrerglauben“ dieser Leute besteht heute weiter. Das sind großartige Menschen. Und die Vereinbarung habe ich unterzeichnet, also die Bevollmächtigungsbriefe, damit diese Vereinbarung unterzeichnet werden konnte. Ich bin der Verantwortliche. Die anderen, die ich ernannt habe, haben mehr als zehn Jahre daran gearbeitet. Das ist keine Improvisation: das ist ein Weg, ein wirklicher Weg.

Jetzt erzähle ich noch eine einfache Anekdote und eine historische Begebenheit, zwei Dinge noch zum Schluss. Als es diese berühmte Mitteilung eines ehemaligen Apostolischen Nuntius gab, haben mir Bischöfe aus aller Welt geschrieben, dass sie mir nahe sind und für mich beten. Auch die chinesischen Gläubigen haben geschrieben, und die Unterschriften auf diesem Brief waren von einem Bischof der – sagen wir so – traditionell katholischen Kirche und von einem Bischof der patriotischen Kirche: beide, zusammen, und Gläubige beider Kirchen. Das war für mich ein Zeichen Gottes. Und die zweite Sache: Wir vergessen, dass in Lateinamerika – zum Glück ist das überwunden! – über 350 Jahre hinweg die Könige von Portugal und Spanien die Bischöfe ernannt haben. Der Papst verlieh nur die Jurisdiktionsgewalt. Wir vergessen auch, wie es im Habsburgerreich war: Maria Theresia war es leid, Bischofsernennungen zu unterschreiben, und hat dieses Recht an den Vatikan abgetreten. Das waren Gott sei Dank andere Zeiten, die sich hoffentlich nicht wiederholen! Aber im aktuellen Fall geht es nicht um die Ernennung: es ist ein Dialog über die möglichen Kandidaten. Die Sache geschieht im Dialog. Aber die Ernennung ist Sache Roms; die Ernennung erfolgt durch den Papst, das ist klar. Beten wir für die Leiden derer, die das nicht verstehen oder die viele Jahre im Untergrund gelebt haben.

Ich danke Ihnen vielmals! Man sagt uns, dass das Abendessen fertig ist und der Flug dauert nicht lang. Vielen Dank! Danke für Ihre Arbeit. Und beten Sie für mich.

Greg Burke:

Danke Ihnen, Heiliger Vater. Gesegnetes Abendessen und angenehme Ruhe.

 



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