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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER DES KURSES

»
EUROPEAN JESUITS IN FORMATION«

Nebenraum der Audienzhalle 
Mittwoch, 1. August 2018

[Multimedia]


 

Guten Tag. Ich freue mich, euch zu empfangen. Vielen Dank für diesen Besuch, er tut mir gut. Als ich Student war, trug man, wenn man zum General ging, und wenn wir mit dem General zum Papst gingen, Soutane und Mantel. Ich sehe, dass es diese Mode nicht mehr gibt, Gott sei Dank. Ich musste lachen, als der Priester davon sprach, die Pastoral der Jesuiten zu vereinheitlichen. Ich hatte verstanden, dass es darum ging, die Jesuiten in Herz und Seele, nicht in ihrem Vorgehen, zu vereinen – denn wenn man das tut, ist die Gesellschaft Jesu am Ende. Es hieß, die erste Rolle des Generals sei es, »die Jesuiten zu weiden«, und ein anderer sagte: »Ja, aber das ist wie eine Herde Frösche zu weiden«: einer hier, einer dort… Aber das ist schön, denn es bedarf einer großen Freiheit, ohne Freiheit kann man kein Jesuit sein. Und eines großen Gehorsams gegenüber dem Hirten; er muss die große Gabe der Unterscheidung der Geister besitzen, um jeden »Frosch« das wählen zu lassen, von dem er spürt, dass der Herr ihn darum bittet. Das ist das Ureigentliche der Gesellschaft Jesu: Einheit in großer Vielfalt.

Der selige Paul VI. hat zu uns gesagt, in der 32. Generalkongregation, dass ein Jesuit dort ist, wo Ideen, Probleme, Herausforderungen am Scheideweg stehen. Lest diese Ansprache: Meines Erachtens ist es die schönste Ansprache, die ein Papst je an die Gesellschaft Jesu gerichtet hat. Es war ein schwieriger Augenblick für die Gesellschaft, und der selige Paul VI. sagte in dieser Ansprache: Warum zweifelt ihr? Ein Augenblick der Zweifel? Nein! Habt Mut! [vgl. Ansprache an die Teilnehmer der 32. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu, 3. Dezember 1974; in O.R. dt., Nr. 1, 3.1.1975, S. 10].

Und ich möchte es mit einer weiteren Ansprache verbinden, die nicht ein Papst, sondern ein General gehalten hat, Pedro Arrupe: Es war sein »Schwanengesang«, im Flüchtlingslager in Thailand, ich weiß nicht, ob in Bangkok oder südlich von Bangkok. Er hat die Ansprache beim Flugzeug gehalten, und nach der Landung in Fiumicino hat er einen Schlaganfall erlitten. Es war seine letzte Predigt, sein Testament. Diese beiden Ansprachen bilden den Rahmen dessen, was die Gesellschaft Jesu heute tun muss: Mut, in die Randgebiete gehen, wo Ideen, Probleme, die Sendung am Scheideweg stehen… Das ist Arrupes Testament, der »Schwanengesang«, das Gebet. Man braucht Mut, um ein Jesuit zu sein. Das bedeutet nicht, dass ein Jesuit leichtsinnig oder waghalsig sein soll, nein. Aber er muss Mut haben. Der Mut ist eine Gnade Gottes, jene paulinische »parresia«… Und man braucht starke Knie zum Gebet. Ich glaube, dass ihr in diesen beiden Ansprachen die Inspiration findet, dorthin zu gehen, wohin der Heilige Geist euch führen wird, indem er zu eurem Herzen spricht.

Außerdem ist von Kommunikation die Rede. Das ist eines eurer Themen. Ich mag die Kommunikationsmethode des heiligen Peter Faber sehr: Ja, Faber kommunizierte und ließ die anderen kommunizieren. Lest sein Memoriale: Es ist ein Denkmal für die Kommunikation, sowohl für die innere Kommunikation mit dem Herrn als auch für die äußere Kommunikation mit den Menschen. Und ich danke euch für das, was ihr tut. Geht voran, zu den Scheidewegen, ohne Furcht. Aber seid im Herrn verankert. Betet für mich, vergesst das nicht! Diese Arbeit [des Papstes] ist nicht leicht… Das mag wie eine Häresie klingen, aber gewöhnlich ist sie unterhaltsam. Danke.

Wir haben noch einige Minuten: Wenn jemand von euch eine Frage stellen oder eine Überlegung zum Ausdruck bringen möchte, dann sollten wir diese Minuten nutzen. So lerne ich aus euren Häresien… Frage [auf Englisch]: Danke für Ihre Worte, Heiliger Vater. Das Thema unserer Begegnungen ist die Kommunikation, die jungen Menschen. Jemand hat einmal zu mir gesagt, dass Ordensmänner oder Priester zu sein bedeutet, dass wir nie mit Arbeitslosigkeit konfrontiert sein werden. Vielen jungen, selbst gut ausgebildeten Menschen droht jedoch die Arbeitslosigkeit. Ich empfinde das als Herausforderung für mich, die Dinge aus ihrer Perspektive heraus zu betrachten, denn ich weiß, dass die Gesellschaft Jesu und die Kirche immer irgendwo eine Aufgabe für mich haben werden. Ich glaube, das ist eine große Herausforderung für die Kommunikation: diese Erfahrung der Arbeitslosigkeit, von der ich weiß, dass ich sie nie machen werde. Das ist etwas, das ich schwierig finde…

Papst Franziskus: Dies ist vielleicht eines der dringendsten und schmerzlichsten Probleme für die jungen Menschen, weil es die Person direkt ins Herz trifft. Ein Mensch, der keine Arbeit hat, fühlt sich würdelos. Ich erinnere mich, dass in meiner Heimat einmal eine Frau zu mir gekommen ist und gesagt hat, dass ihre Tochter, die die Universität besucht hatte und mehrere Sprachen sprach, keine Arbeit fand. Diese Frau hat mir einen Zettel geschrieben, auf dem stand: »Danke, Vater, dass Sie meiner Tochter geholfen haben, die Würde zurückzuerlangen.« Keine Arbeit zu haben nimmt dem Menschen die Würde. Und noch mehr: Es geht nicht darum, nicht essen zu können, denn sie kann zur Caritas gehen, und dort gibt man ihr zu essen. Das Problem ist, sein Brot nicht verdienen zu können: Das nimmt die Würde. Wenn ich – wie ihr – viele junge Menschen ohne Arbeit sehe, dann müssen wir uns fragen, warum das so ist. Ihr werdet gewiss den Grund finden: Es gibt eine Neuordnung der Weltwirtschaft, wo die Wirtschaft, die konkret ist, von der Finanz ersetzt wird, die abstrakt ist. Im Mittelpunkt steht die Finanz, und die Finanz ist grausam: Sie ist nicht konkret, sondern abstrakt. Und dort spielt man mit einer kollektiven Vorstellungswelt, die nicht konkret, sondern flüssig oder gasförmig ist. Und im Mittelpunkt steht die Welt der Finanz.

An ihrer Stelle sollten der Mann und die Frau stehen. Das ist heute, glaube ich, die große Sünde gegen die Würde des Menschen: Ihm seinen zentralen Platz zu nehmen. Als ich im vergangenen Jahr mit einer Leiterin des Internationalen Währungsfonds gesprochen habe, hat sie mir gesagt, dass sie den Wunsch hatte, einen Dialog zwischen Wirtschaft, Humanismus und Spiritualität herzustellen. Und sie hat zu mir gesagt: »Das ist mir gelungen. Dann hat mich die Begeisterung gepackt, und ich wollte dasselbe auch zwischen Finanz, Humanismus und Spiritualität tun. Und das ist mir nicht gelungen, denn die Wirtschaft, auch die Marktwirtschaft, kann sich zur sozialen Marktwirtschaft hin öffnen, wie Johannes Paul II. gefordert hatte. Die Finanz ist dazu jedoch nicht in der Lage, denn man kann die Finanz nicht greifen: Sie ist ›gasförmig‹.« Die Finanz gleicht auf globaler Ebene den Kettenbriefen! Dadurch, dass der Mensch aus dem Mittelpunkt gedrängt und eine so »gasförmige« Sache wie die Finanz in den Mittelpunkt gestellt wird, wird eine Leere in der Arbeitswelt erzeugt.

Das wollte ich ganz allgemein sagen, denn dort liegen die Wurzeln des Problems der Arbeitslosigkeit, das du in deiner Frage ansprichst: »Wie kann ich einen jungen Menschen, der arbeitslos ist, verstehen, mit ihm kommunizieren und ihn begleiten?« Brüder, wir brauchen Kreativität! In jedem Fall. Eine mutige Kreativität, um herauszufinden, wie man dieser Situation begegnen kann.

Es ist jedoch keine oberflächliche Frage, die du gestellt hast. Die Zahl der Selbstmorde junger Menschen ist steigend, aber die Regierungen – nicht alle – veröffentlichen die genaue Zahl nicht: Sie veröffentlichen sie bis zu einem gewissen Punkt, weil es skandalös ist. Und warum hängen sich diese jungen Menschen auf, warum begehen sie Selbstmord? Der Hauptgrund ist in fast allen Fällen die Arbeitslosigkeit. Sie sind unfähig, sich nützlich zu fühlen, und enden… Andere junge Menschen sind nicht bereit, Selbstmord zu begehen, suchen jedoch eine zeitweilige Entfremdung durch Abhängigkeiten, und die Abhängigkeit ist heute ein Fluchtweg aus dieser Würdelosigkeit. Denkt darüber nach, dass hinter jeder Dosis Kokain – denken wir darüber nach – eine große weltweite Industrie steht, die das ermöglicht, und wahrscheinlich – ich bin mir nicht sicher – der weltweit größte Geldtransfer.

Andere junge Menschen sehen auf dem Handy interessante Dinge als Lebensprojekt: Wenigstens geben sie eine Arbeit… Das ist real, es geschieht wirklich! »Ach, ich nehme das Flugzeug und schließe mich dem IS an: Wenigstens habe ich dann jeden Monat tausend Dollar in der Tasche und etwas zu tun!« Selbstmorde, Abhängigkeiten und der Anschluss an eine Guerilla sind die drei Optionen, die junge Menschen heute haben, wenn es keine Arbeit gibt. Das ist wichtig: das Problem der jungen Menschen zu verstehen; [den jungen Menschen] spüren lassen, dass ich ihn verstehe, und das bedeutet, mit ihm zu kommunizieren. Und sich dann für eine Lösung dieses Problems einzusetzen. Es gibt tatsächlich eine Lösung, aber man muss sie finden, man braucht das prophetische Wort, man braucht menschlichen Erfindungsgeist, man muss viele Dinge tun. Sich die Hände schmutzig machen… Meine Antwort auf deine Frage ist etwas lang, aber es sind alles Elemente, um eine Entscheidung zu treffen in der Kommunikation mit einem jungen Menschen, der keine Arbeit hat. Es ist gut, dass du es angesprochen hast, denn es ist ein Problem, das die Würde betrifft. Und was geschieht, wenn ein Jesuit keine Arbeit hat? Das ist ein großes Problem! Sprich rasch mit dem Spiritual, mit dem Oberen, mach eine schöne Entscheidungsfindung über das Warum…Danke. Ich gebe dir keine Arbeit mehr [an den Übersetzer gewandt]. Morgen ist der Gedenktag des heiligen Peter Faber: Betet zu ihm, dass er uns die Gnade schenken möge, kommunizieren zu lernen. Beten wir zur Gottesmutter: »Gegrüßet seist du, Maria…«

[Danach erteilte der Heilige Vater den Anwesenden den Apostolischen Segen.]

Und bitte vergesst nicht die beiden Ansprachen: die des seligen Paul VI. im Jahr 1974, bei der 32. Generalkongregation, und die von Pater Arrupe in Thailand, sein Schwanengesang, sein Testament.

 


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