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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE GEMEINSCHAFTEN CHRISTLICHEN LEBENS (GCL) ITALIENS
UND DIE MISSIONARISCHE STUDENTENLIGA

Aula Paolo VI
Donnerstag, 30. April 2015

[Multimedia]


 

FRAGEN DER MITGLIEDER DER BEWEGUNG, DIE DER HEILIGE VATER AUS DEM STEGREIF
BEANTWORTET HAT

 

Paola:

Heiliger Vater – das ist keine Redewendung –, ich bin Paola. Ich leiste Dienst im Gefängnis von Arghillà, Reggio Calabria. Dort begegne ich viel Leid und allen Widersprüchen unserer Welt. Wir bitten Sie um ein Licht. Unter uns, in diesem Umfeld, ist es leicht, von Hoffnung zu sprechen. Es ist ein Wort, das uns vertraut ist; aber wie soll man es gegenüber jemandem tun, der eine lebenslängliche Freiheitsstrafe verbüßt? Gegenüber einem Menschen, der als »Ende der Strafe: nie« definiert wird? Und dann wollte ich Sie auch fragen, wie wir unser Gewissen schärfen können, damit das Zusammensein mit den Leidenden für uns nicht einfach nur ein wohltätiger Akt ist, sondern unser Herz zu einer tiefen Umkehr führt und uns fähig macht, mutig für eine gerechtere Welt zu kämpfen? Danke, Heiliger Vater, dass Sie einen jeden von uns spüren lassen, ein geliebtes Kind zu sein, in welcher Situation auch immer wir uns befinden mögen.

Papst Franziskus:

Paola, hier habe ich deine beiden Fragen schriftlich – es sind zwei! Du weißt, dass ich gerne sage – das ist eine Redewendung, aber es ist die Wahrheit des Evangeliums –, dass wir aufbrechen und bis in die Randgebiete gehen müssen. Wir müssen auch aufbrechen, um im Gebet in das Randgebiet der göttlichen Transzendenz zu gehen, aber immer müssen wir aufbrechen. Das Gefängnis ist eines der schlimmsten Randgebiete, wo es viel Schmerz gibt. Ins Gefängnis zu gehen bedeutet vor allem, zu sich selbst zu sagen: »Wenn ich nicht hier bin, wie dieser Mann, wie diese Frau, dann ist es eine reine Gnade Gottes.« Eine reine Gnade Gottes. Wenn wir nicht in diese Fehler oder auch in diese Delikte oder Verbrechen – einige davon schwere Verbrechen – abgerutscht sind, dann deshalb, weil der Herr uns an der Hand gehalten hat. Man kann nicht in das Gefängnis gehen mit der Einstellung: »Ich komme her, um dir von Gott zu erzählen, denn du gehörst – nimm es mir nicht übel – zu einer niederen Schicht, du bist ein Sünder …« Nein, nein! Ich bin sündiger als du, und das ist der erste Schritt. Im Gefängnis kann man es sehr mutig sagen; aber wir müssen es immer sagen.

Wenn wir hingehen, um Jesus Christus bei Menschen zu verkündigen, die ihn nicht kennen oder die ein Leben führen, das nicht sehr moralisch erscheint, dann müssen wir denken: Ich bin sündiger als er, denn wenn ich nicht in diese Situation geraten bin, dann verdanke ich es der Gnade Gottes. Das ist eine unverzichtbare Voraussetzung. Wir können nicht ohne dieses Bewusstsein in die Randgebiete gehen. Paulus, Paulus hatte dieses Bewusstsein. Er sagt von sich selbst, dass er der größte Sünder ist. Er sagt auch ein sehr schlimmes Wort über sich selbst: »Ich bin eine ›Missgeburt‹« (vgl. 1 Kor 15,8). Aber das steht in der Bibel, es ist das Wort Gottes, inspiriert vom Heiligen Geist! Das bedeutet nicht, ein Gesicht aufzusetzen wie auf einem Heiligenbildchen, wie es den Heiligen nachgesagt wird.

Die Heiligen fühlten sich als Sünder, weil sie es verstanden hatten! Und die Gnade des Herrn trägt uns. Wenn du, wenn ich, wenn ein jeder von euch das nicht hat, kann er das Gebot Jesu, die Sendung Jesu nicht annehmen: Geht an die Enden der Erde, zu allen Völkern, in die Randgebiete (vgl. Mt 28,20). Und wer sind die Menschen, die unfähig waren, dies anzunehmen? Die verschlossenen Personen, die Gelehrten, die Schriftgelehrten, die verschlossenen Personen, die Jesus nicht angenommen haben, die seine Botschaft des Aufbruchs nicht angenommen haben. Sie schienen gerecht zu sein, sie schienen Menschen der Kirche zu sein, aber Jesus sagt ihnen ein Wort, das nicht sehr schön ist: »Heuchler «. So nennt Jesus sie. Und um uns zu erklären, wie sie sind, beschreibt Jesus sie mit diesem Bild: Ihr seid »Gräber, die außen weiß angestrichen sind« (Mt 23,27). Wer verschlossen ist, kann nicht empfangen, ist unfähig, diesen Mut vom Heiligen Geist zu empfangen, und bleibt verschlossen und kann nicht in die Randgebiete gehen.

Bitte den Herrn darum, offen zu bleiben für die Stimme des Heiligen Geistes, um in jenes Randgebiet zu gehen. Dann wird er dich morgen vielleicht bitten, in ein anderes zu gehen, du kannst es nie wissen … Aber stets ist es der Herr, der uns sendet. Im Gefängnis und auch unter vielen leidenden Menschen muss man sich immer sagen: Warum leidet diese Person und ich nicht? Warum kennt diese Person Gott nicht, hat keine Hoffnung auf das ewige Leben, meint, dass alles hier endet – und ich nicht? Warum wird diese Person vor Gericht angeklagt, weil sie korrupt ist oder aus einem anderen Grund …, und ich nicht? Durch die Gnade des Herrn! Das ist die schönste Vorbereitung, um in die Randgebiete zu gehen.

Dann sagst du: »Von welcher Hoffnung soll ich mit den Menschen im Gefängnis sprechen?« Viele werden zum Tod verurteilt… Nein, in Italien gibt es keine Todesstrafe, sondern eine lebenslängliche Freiheitsstrafe… Die lebenslängliche Freiheitsstrafe ist eine Todesstrafe, denn man weiß, dass man dort nicht hinauskommt. Das ist hart. Was sage ich diesem Mann? Was sage ich dieser Frau? Vielleicht… sage ich nichts.

Die Hand nehmen, ihn liebkosen, mit ihm weinen, mit ihr weinen… So gesinnt sein, wie Jesus Christus. Dem leidenden Herzen nahe sein. Oft können wir nichts sagen, nichts, denn ein Wort wäre eine Beleidigung. Nur die Gesten. Die Gesten, die die Liebe erkennen lassen. »Du bist ein Mensch, der hier eine lebenslängliche Freiheitsstrafe verbüßt, aber ich teile mit dir dieses Stück Leben als ›Lebenslänglicher‹.« Liebevoll miteinander teilen, nichts weiter: Das bedeutet, Liebe zu säen.

Und dann legst du den Finger in die Wunde: »Wie können wir unser Gewissen schärfen, damit das Zusammensein mit den Leidenden für uns nicht nur einfach ein Akt der Wohltätigkeit ist, sondern unser Herz zur Umkehr führt und uns fähig macht, mutig für eine gerechtere Welt zu kämpfen?« Die Wohltätigkeit ist eine Stufe: Hast du Hunger? – Ja – Ich gebe dir etwas zu essen, heute. Die Wohltätigkeit ist der erste Schritt zur Förderung des Menschen. Und das ist nicht einfach. Wie kann man hungernde Kinder fördern? Wie kann man sie fördern… Wir sprechen jetzt über die Kinder: Wie kann man Kinder fördern, die keine Erziehung bekommen? Wie kann man Kinder fördern, die nicht lachen können, und die dich schlagen, wenn du sie liebkost, weil sie zuhause sehen, dass der Vater die Mutter schlägt? Wie kann man sie fördern? Wie kann man Menschen fördern, die die Arbeit verloren haben, wie kann man sie begleiten und fördern, mit ihnen unterwegs sein? Mit denen, die Arbeit brauchen, denn ohne Arbeit fühlt ein Mensch sich würdelos. Ja, du bringst ihm etwas zu essen, das ist gut.

Aber Würde bedeutet, dass er, sie, das Essen nach Hause bringt: Das verleiht Würde! Das ist Förderung – der Präsident hat davon gesprochen [der Papst bezieht sich auf den Präsidenten der GCL, der vorher gesprochen hat]: Viele Dinge, die ihr tut… Etwas, das den Unterschied zwischen der gewohnheitsmäßigen Wohltätigkeit – ich meine nicht die Wohltätigkeit, die aus der schlimmsten Not heraushilft –, zwischen der gewohnheitsmäßigen Wohltätigkeit und der Förderung ausmacht, ist die Tatsache, dass die gewohnheitsmäßige Wohltätigkeit deine Seele beruhigt: »Ich habe heute zu essen gegeben, jetzt gehe ich ruhig schlafen.« Die Förderung versetzt deinen Geist in Unruhe: »Ich muss mehr tun… Und morgen das, und übermorgen jenes, und was tue ich…« Die gesunde Unruhe des Heiligen Geistes. Das ist es, was mir einfällt, um es dir zu sagen. Das darf für uns nicht einfach nur Wohltätigkeit sein, sondern muss unser Herz zur Umkehr führen. Und diese Unruhe schenkt dir der Heilige Geist, um Wege zu finden, den Brüdern und Schwestern zu helfen, sie zu fördern. Das vereint dich mit Jesus Christus: Das ist Buße, das ist Kreuz, aber das ist auch Freude. Eine große, große, große Freude, die dir der Heilige Geist schenkt, wenn du es tust.

Ich weiß nicht, ob das, was ich gesagt habe, dir hilft… Denn wenn man mir diese Fragen stellt, dann besteht die Gefahr – auch die Gefahr für den Papst – zu meinen, ich könne auf alle Fragen antworten… Aber der einzige, der auf alle Fragen antworten kann, ist der Herr. Meine Aufgabe ist einfach zuzuhören und das zu sagen, was mir von innen her kommt. Aber es ist sehr ungenügend und sehr wenig.

Tiziana:

Heiliger Vater, ich bin Tiziana und komme aus Cagliari. Ich bin aufgeregt und glücklich: Vor Ihnen zu stehen bedeutet, einen Traum zu verwirklichen, den ich schon als Kind hatte. Ich gehöre der Gemeinschaft Christlichen Lebens und der Missionarischen Studentenliga an, durch die ich das Privileg habe, wunderbare Erfahrungen der Gemeinschaft und des Dienens zu leben. Heute lege ich jedoch die Hand aufs Herz und vertraue ihnen an, dass ich manchmal die Hoffnung verliere. Manchmal bin ich genauso schwach wie viele andere junge Menschen. Helfen Sie mir und uns allen zu verstehen, dass Gott uns nie verlässt, dass wir jungen Menschen noch immer träumen können inmitten von jenen, die uns diese Gabe nehmen wollen.

Papst Franziskus:

Zu den jungen Menschen sage ich gern: »Lasst euch die Hoffnung nicht rauben.« Aber deine Frage geht darüber hinaus: »Aber von welcher Hoffnung sprechen Sie, Vater? « Einige meinen vielleicht, dass die Hoffnung darin besteht, ein bequemes Leben, ein ruhiges Leben zu haben, etwas zu erreichen… Das ist eine kontrollierte Hoffnung, eine Hoffnung, die vielleicht im Labor angebracht ist. Aber wenn du im Leben stehst und im Leben tätig bist, mit vielen Problemen, mit viel Skepsis, die dir das Leben bietet, mit viel Scheitern: »Von welcher Hoffnung sprechen Sie, Vater?« Ja, ich kann dir sagen: »Wir kommen doch alle in den Himmel.« Ja, das stimmt. Der Herr ist gütig. Aber ich will eine bessere Welt, und ich bin schwach, und ich verstehe nicht, wie das gehen kann. Ich will mich »einmischen«, zum Beispiel im politischen Leben oder in der Medizin… Aber manchmal begegne ich dort der Korruption, und Tätigkeiten, die da sind, um zu dienen, werden zu Geschäften.

Ich will mich in der Kirche »einmischen«, und auch dort sät der Teufel Korruption, und oft gibt es sie… Ich erinnere mich an jenen Kreuzweg von Papst Benedikt XVI., als er uns aufforderte, den Schmutz aus der Kirche zu vertreiben… Auch in der Kirche gibt es Korruption. Immer gibt es etwas, das die Hoffnung zugrunde gehen lässt, und so geht es nicht… Aber die wahre Hoffnung ist eine Gabe Gottes. Sie ist ein Geschenk, und sie lässt nie zugrunde gehen. Aber wie soll das gehen, wie kann man verstehen, dass Gott uns nicht verlässt, dass Gott bei uns ist, dass er mit uns unterwegs ist? Heute stand am Anfang der Messe ein sehr schöner, sehr schöner Vers aus einem Psalm: »Gott, du zogest vor deinem Volke einher; wohnend in ihrer Mitte, bahntest du ihnen den Weg. Da erbebte die Erde, Segen ergossen die Himmel« (vgl. Ps 68,8-9.20). Ja. Aber nicht immer sieht man das. Nur eines weiß ich sicher – ich weiß es sicher, ich spüre es nicht immer, aber ich weiß es sicher: Gott ist mit seinem Volk unterwegs.

Gott verlässt sein Volk nie. Er ist der Hirte seines Volkes. Aber wenn ich eine Sünde begehe, wenn ich einen Fehler mache, wenn ich Unrecht tue, wenn ich viele Dinge sehe, frage ich: »Herr, wo bist du? Wo bleibst du?« Heute sterben viele Unschuldige: Wo bist du, Herr? Ist es möglich, etwas zu tun? Die Hoffnung gehört zu den Tugenden, die am schwersten zu verstehen sind, und einige Große – ich glaube Peguy war einer von denen, die sagten, dass die Hoffnung die demütigste Tugend ist, weil sie die Tugend der Demütigen ist. Man muss sich jedoch sehr erniedrigen, damit der Herr sie uns gibt, damit der Herr sie uns schenkt. Er ist es, der uns stützt. Aber sag mir: Welche Hoffnung kann man vom natürlichen Gesichtspunkt her haben – denken wir an ein Krankenhaus: eine Ordensschwester, die seit 40 Jahren in der Abteilung für Krankheiten im Endstadium ist, und jeden Tag stirbt einer, der nächste, der nächste, der nächste… Ja, ich glaube an Gott, aber die Liebe, die diese Frau gibt, geht immer wieder zu Ende, zu Ende, zu Ende… Und irgendwann kann diese Frau zu Gott sagen: »Ist das die Welt, die du geschaffen hast? Kann man sich von dir etwas erhoffen?« Die Versuchung, wenn wir in Schwierigkeiten sind, wenn wir die Brutalität der Dinge sehen, die in der Welt geschehen: die Hoffnung scheint zu sinken. Aber im demütigen Herzen bleibt sie. Es ist schwer, das zu verstehen, denn deine Frage ist sehr tief. Wie sollte man da den Kampf nicht aufgeben und sich ein schönes Leben machen – so, ohne Hoffnung, das ist einfacher… Das Dienen ist eine Arbeit für Demütige, heute haben wir das im Evangelium gehört. Jesus ist gekommen, um zu dienen, nicht sich dienen zu lassen.

Und die Hoffnung ist die Tugend der Demütigen. Ich glaube, dass das der Weg sein kann. Ich sage dir aufrichtig: Mir fällt nichts anderes ein, was ich dir sagen kann. Demut und Dienen: Diese beiden Dinge bewahren die kleine Hoffnung, die demütigste Tugend – aber jene, die dir das Leben schenkt.

Bartolo:

Lieber Heiliger Vater, ich heiße Bartolo und bin seit neun Jahren Diözesanpriester. Gegenwärtig ist mir die Aufgabe als Ausbilder der Seminaristen und Dozent am Päpstlichen Interregionalen Priesterseminar von Kampanien in Neapel anvertraut, das von Jesuiten geleitet wird. An diesem Ort werden oft viele Dinge als selbstverständlich vorausgesetzt: besonders die Ausbildung… Seit etwa zehn Jahren leite ich zusammen mit P. Massimo Nevola Missionscamps, insbesondere auf Kuba, die jungen Erwachsenen der Missionarischen Studentenliga angeboten werden. Durch diese Erfahrungen habe ich die Wunden des Herrn mit eigener Hand berührt in der Armut der Menschen unserer Zeit, die mich in eine Krise geführt und mich angespornt haben, sein Antlitz mehr zu suchen.

Und das hat meine priesterliche Berufung sehr gestärkt; ich empfinde sie immer mehr als Geschenk für die ganze Menschheit und die Kirche. Ich wollte Sie fragen, auch angesichts des Vorhandenseins so vieler Pfarreien: Welchen besonderen Beitrag kann eine Bewegung ignatiatischer Inspiration wie die GCL für die christliche Ausbildung der in der Seelsorge Tätigen und die Studentische Missionsliga für die Einbeziehung und die Hinführung der jungen Menschen zur Globalität leisten? Danke.

Papst Franziskus:

Der Präsident hat an ein ignatianisches Motto erinnert: »kontemplativ in Aktion«. Kontemplativ in Aktion zu sein bedeutet nicht, durch das Leben zu gehen und dabei in den Himmel zu schauen, denn du wirst mit Sicherheit in eine Grube fallen!… Man muss verstehen, was Kontemplation bedeutet. Du hast etwas gesagt, ein Wort, das mich beeindruckt hat: Ich habe mit eigener Hand die Wunden des Herrn berührt in der Armut der Menschen unserer Zeit. Und ich glaube, das ist eines der besten Heilmittel für eine Krankheit, von der wir sehr betroffen sind: die Gleichgültigkeit. Auch die Skepsis: zu glauben, dass man nichts tun kann.

Der Patron der Gleichgültigen und Skeptiker ist Thomas: Thomas musste die Wunden berühren. Es gibt eine wunderschöne Predigt, eine wunderschöne Betrachtung des heiligen Bernhard über die Wunden des Herrn. Du bist Priester, du kannst sie in der dritten Woche der Fastenzeit finden, in der Lesehore, ich erinnere mich nicht, an welchem Tag. In die Wunden des Herrn eintreten: Wir dienen einem Herrn, der aus Liebe verwundet ist; die Hände unseres Gottes sind von der Liebe verwundete Hände. Fähig zu sein, dort einzutreten… Und Bernhard sagt weiter: »Hab Vertrauen: Tritt ein in die Wunde seiner Seite, und du wirst die Liebe seines Herzens schauen.« Die Wunden der Menschheit: Wenn du dich ihnen näherst, wenn du sie berührst – und das ist katholische Lehre –, berührst du den verwundeten Herrn. Das findest du in Matthäus 25; ich bin nicht häretisch, wenn ich das sage. Wenn du die Wunden des Herrn berührst, verstehst du das Geheimnis Christi, des menschgewordenen Gottes, ein wenig mehr. Genau das ist die Botschaft von Ignatius hinsichtlich der Spiritualität: eine Spiritualität, in deren Mittelpunkt Jesus Christus steht, nicht die Institutionen, nicht die Menschen, nein. Jesus Christus. Aber der menschgewordene Christus!

Und wenn du die Geistlichen Übungen machst, dann sagt er dir: Wenn du den leidenden Herrn siehst, die Wunden des Herrn, dann bemühe dich zu weinen, Schmerz zu empfinden. Die ignatianische Spiritualität schenkt eurer Bewegung diesen Weg, bietet diesen Weg an: in das Herz Gottes eintreten durch die Wunden Jesu Christi – des verwundeten Christus in den Hungernden, in den Unwissenden, in den Weggeworfenen, in den einsamen alten Menschen, in den Kranken, in den Gefangenen, in den Verrückten… er ist dort. Und was wäre der größte Fehler für einen von euch? Von Gott sprechen, Gott begegnen, aber einem Gott… einem Gott »aus der Sprühdose«, einem diffusen Gott, einem ätherischen Gott… Ignatius wollte, dass du Jesus Christus begegnest, dem Herrn, der dich liebt und der sein Leben für dich hingegeben hat, der verwundet ist durch deine Sünde, durch meine Sünde, durch alle… Und die Wunden des Herrn sind überall. Der Schlüssel liegt genau in dem, was du gesagt hast. Wir können viel von Theologie sprechen, so viel… gute Dinge, von Gott sprechen…, aber der Weg besteht darin, dass du in der Lage bist, Jesus Christus zu betrachten, das Evangelium zu lesen, was Jesus Christus getan hat: Er ist der Herr! Und dich in Jesus Christus zu verlieben und Jesus Christus zu sagen, dass er dich erwählen möge, um ihm nachzufolgen, um zu sein wie er.

Und das tut man mit dem Gebet und auch indem man die Wunden des Herrn berührt. Nie wirst du Jesus Christus kennenlernen, wenn du nicht seine Wundmale, seine Wunden berührst. Er ist für uns verwundet worden. Das ist der Weg, es ist der Weg, den die ignatianische Spiritualität uns allen anbietet: der Weg… Und ich gehe noch etwas weiter: Du bist Ausbilder zukünftiger Priester. Bitte, wenn du einen intelligenten, tüchtigen jungen Mann siehst, der aber nicht die Erfahrung gemacht hat, den Herrn zu berühren, den Herrn zu umarmen, den verwundeten Herrn zu lieben, dann rate ihm zu gehen und sich für ein oder zwei Jahre einen schönen Urlaub zu nehmen… und du wirst ihm Gutes tun. »Aber Vater, wir sind wenig Priester: Wir brauchen sie…« Bitte, wir dürfen uns nicht von der Illusion der Quantität täuschen lassen und die Qualität aus den Augen verlieren! Wir brauchen Priester, die beten. Aber sie müssen zu Jesus Christus beten, sie müssen Jesus Christus für ihr Volk herausfordern, wie Moses, der Gott die Stirn bot und ihn herausforderte, um das Volk zu retten, das Gott vernichten wollte, mit jenem Mut vor Gott; Priester, die auch den Mut haben zu leiden, die Einsamkeit zu ertragen und viel Liebe zu schenken. Auch für sie gilt die Predigt von Bernhard über die Wunden des Herrn. Verstanden? Danke.

Gianni:

Heiliger Vater, ich bin Gianni, ich komme aus der GCL von L’Aquila. Wir engagieren uns seit über 30 Jahren in der freiwilligen Hilfe, im Verbandswesen und in der Politik. In unserem Engagement im sozialen Leben wollen wir, dass jeder – besonders die Jüngeren unter uns – versteht, dass es außer dem privaten Wohl, das zu oft den Vorrang hat, ein allgemeines Interesse gibt, das die gesamte Gemeinschaft betrifft. Heiliger Vater, welche Überlegungen kann uns die ignatianische Spiritualität bieten, um uns zu helfen, die Beziehung zwischen dem Glauben an Jesus Christus und der Verantwortung, uns stets um den Aufbau einer gerechteren und solidarischeren Gesellschaft zu bemühen, aufrecht zu erhalten? Danke.

Papst Franziskus:

Ich glaube, dass P. Bartolomeo Sorge auf diese Frage, die du gestellt hast, viel besser antworten könnte als ich. Ich weiß nicht, ob er hier ist, nein, ich habe ihn nicht gesehen… – Er war ein Guter! Er ist ein Jesuit, der den Weg im Bereich der Politik geöffnet hat. Manchmal hört man: »Wir müssen eine katholische Partei gründen!« Das ist nicht der Weg. Die Kirche ist die Gemeinschaft der Christen, die den Vater anbetet, den Weg des Sohnes geht und die Gabe des Heiligen Geistes empfängt. Sie ist keine politische Partei. »Nein, wir meinen nicht eine Partei, sondern …eine Partei nur der Katholiken.« Das nützt nichts, und sie wird nicht die Fähigkeit haben, andere einzubeziehen, weil sie das macht, wozu sie nicht berufen ist. »Kann ein Katholik denn Politik machen?« – »Er muss!« – »Kann ein Katholik sich denn in die Politik einmischen?« – »Er muss!« Der selige Paul VI., wenn ich nicht irre, hat gesagt, dass die Politik eine der höchsten Formen der Nächstenliebe ist, weil sie nach dem Gemeinwohl strebt. »Aber Vater, die politische Tätigkeit ist nicht einfach, denn in dieser korrupten Welt… am Ende kommst du nicht weiter…« Was willst du damit sagen, dass die politische Tätigkeit eine Art Martyrium ist? Ja. Ja, sie ist eine Art Martyrium.

Aber es ist ein tägliches Martyrium: nach dem Gemeinwohl streben, ohne dich korrumpieren zu lassen. Nach dem Gemeinwohl streben und die Wege finden, die dafür am Nützlichsten sind, die nützlichsten Mittel. Nach dem Gemeinwohl streben, indem man an den kleinen, den ganz kleinen, den geringen Dingen arbeitet… aber man tut es. Politik machen ist wichtig: die kleine Politik und die große Politik. In der Kirche gibt es viele Katholiken, die eine nicht schmutzige, eine gute Politik gemacht haben; sie haben auch den Frieden unter den Nationen gefördert. Denkt an die Katholiken hier in Italien in der Nachkriegszeit: denkt an De Gasperi.

Denkt an Frankreich: Schuman, für den ein Seligsprechungsprozess im Gang ist. Man kann heilig werden, indem man Politik macht. Und ich möchte nicht mehr von ihnen nennen: Es genügen zwei Beispiele für jene, die das Gemeinwohl fördern wollen. Politik machen ist eine Art Martyrium: Diese Tätigkeit ist wirklich ein Martyrium, denn man muss mit diesem Ideal durch den ganzen Tag gehen, jeden Tag – mit dem Ideal, das Gemeinwohl aufzubauen. Und auch das Kreuz tragen, oft zu scheitern und auch das Kreuz vieler Sünden tragen. Denn in der Welt ist es schwierig, mitten in der Gesellschaft Gutes zu tun, ohne sich etwa die Hände oder das Herz schmutzig zu machen; aber dafür bittest du um Vergebung, bitte um Vergebung und mache weiter. Aber das darf dich nicht entmutigen. »Nein, Vater, ich mache keine Politik, weil ich nicht sündigen will.« – »Aber du tust das Gute nicht! Geh voran, bitte den Herrn, dass er dir helfe, nicht zu sündigen, aber wenn du dir die Hände schmutzig machst, bitte um Vergebung und geh voran!« Aber tu es, tu es… Und für eine gerechtere und solidarischere Gesellschaft kämpfen.

 Welche Lösung bietet uns heute die globalisierte Welt für die Politik? Ganz einfach: Im Mittelpunkt steht das Geld. Nicht der Mann und die Frau, nein. Das Geld. Der Götze Geld. Das steht im Mittelpunkt. Alle dienen dem Götzen Geld. Und daher wird das, was dem Götzen Geld nicht dient, weggeworfen. Und das, was die globalisierte Welt uns heute bietet, ist die Wegwerfkultur: Was nicht nützlich ist, wird weggeworfen. Man wirft Kinder weg, weil man keine Kinder zeugt oder weil man die Kinder vor der Geburt tötet. Man wirft die alten Menschen weg, weil … die alten Menschen nicht nützlich sind… Aber jetzt, wo Arbeitsplätze fehlen, gehen sie zu den Großeltern, damit die Rente uns hilft! Aber sie sind nur momentan nützlich. Die alten Menschen werden weggeworfen, verlassen. Und jetzt muss man Arbeitsplätze abbauen, weil der Götze Geld nicht alles tun kann, und die jungen Menschen werden weggeworfen: Hier in Italien sind von den unter 25-Jährigen – ich möchte keine Fehler machen, korrigiere mich – 40 bis 41 Prozent arbeitslos. Man wirft weg… Aber das ist der Weg der Zerstörung. Ich als Katholik schaue vom Balkon aus zu? Man darf nicht vom Balkon aus zuschauen! Misch dich dort ein! Gib dein Bestes! Wenn der Herr dich zu dieser Berufung ruft, dann geh dorthin, sei politisch tätig. Es wird dir Leiden verursachen, vielleicht wird es dich dazu bringen zu sündigen, aber der Herr ist mit dir. Bitte um Vergebung und geh voran. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass diese Wegwerfkultur uns alle wegwirft! Sie wirft auch die Schöpfung weg, denn die Schöpfung wird jeden Tag mehr zerstört. Vergiss nicht das Wort des seligen Paul VI.: Die Politik ist eine der höchsten Formen der Nächstenliebe. Ich weiß nicht, ob ich geantwortet habe… Ich hatte eine Ansprache geschrieben… Sie war vielleicht langweilig, wie alle Ansprachen; aber ich werde sie übergeben, denn ich habe diesen Dialog vorgezogen…

[Der Papst betet mit allen Anwesenden zur »Muttergottes vom Weg«.] Bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke.

 


ANSPRACHE, DIE DER HEILIGE VATER VORBEREITET HAT

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich begrüße euch alle, die ihr die »Gemeinschaft christlichen Lebens« in Italien repräsentiert sowie die Vertreter verschiedener Gruppen ignatianischer Spiritualität, die der Tradition eurer Formung nahestehen und die in der Evangelisierung und der Förderung des Menschen engagiert sind. Ein besonderer Gruß gilt den Schülern und Ehemaligen des »Istituto Massimo« aus Rom wie auch den Delegationen weiterer Schulen Italiens, die von Jesuiten geführt werden.

Ich kenne eure Vereinigung gut, da ich Ende der 1970er Jahre in Argentinien ihr nationaler kirchlicher Assistent war. Eure Wurzeln reichen zurück zu den Marianischen Kongregationen, die auf die erste Generation der Gefährten des heiligen Ignatius von Loyola zurückgehen. Es handelt sich um einen langen Weg, auf dem die Vereinigung sich in der ganzen Welt durch ihr intensives geistliches Leben und den apostolischen Eifer ihrer Mitglieder ausgezeichnet hat. So hat sie in gewisser Hinsicht die Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Rolle und den Dienst der Laien in der Kirche vorweggenommen. Dieser Perspektive folgend habt ihr das Thema eures Kongresses gewählt, das lautet: »Über die Mauern hinweg«.

Heute möchte ich euch einige Leitlinien für euren geistlichen und gemeinschaftlichen Weg geben.

Erstens: der Einsatz für die Verbreitung der Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens. Angesichts der Kultur der Illegalität, der Korruption und der Konfrontation seid ihr aufgerufen, euch für das Gemeinwohl einzusetzen, auch durch den Dienst an jenen, die in der Politik tätig sind. Denn die Politik ist, wie der selige Paul VI. sagte, »die höchste und anspruchsvollste Form der Nächstenliebe«. Wenn die Christen ihre Verpflichtung zu einem direkten Einsatz in der Politik nicht mehr wahrnehmen würden, dann würden sie die Sendung der Laien verraten, die gerufen sind, auch durch diese Weise der Anwesenheit Salz und Licht in der Welt zu sein. Als zweite Priorität für das Apostolat weise ich euch den vertiefenden Reflexionen der letzten Bischofssynode entsprechend auf die Familienpastoral hin.

Ich ermutige euch, die Diözesangemeinschaften in ihrer Aufmerksamkeit für die Familie, die lebenswichtige Zelle der Gesellschaft, zu unterstützen und ihnen bei der Begleitung der Verlobten zur Ehe zu helfen. Zugleich könnt ihr an der Aufnahme der sogenannten »Fernstehenden« mitwirken: unter ihnen gibt es nicht wenige getrennt Lebende, die unter dem Scheitern ihres Projekts des ehelichen Lebens leiden, sowie andere Situationen familiärer Not, die auch den Weg des Glaubens und Lebens in der Kirche mühsam werden lassen mögen.

Die dritte Leitlinie, die ich euch empfehle, ist die missionarische Dimension. Mit Freude habe ich erfahren, dass ihr einen gemeinsamen Weg mit der »Missionarischen Studentenliga« begonnen habt, der euch auf die Straßen der Welt, zur Begegnung mit den Ärmsten und mit den Gemeinschaften, die am dringendsten pastorale Mitarbeiter brauchen, geführt hat. Ich ermutige euch, diese Fähigkeit beizubehalten: hinaus- und zu den Grenzen der Menschheit gehen, die am bedürftigsten ist. Heute habt ihr Delegationen der Mitglieder eurer Gemeinschaften eingeladen, die in euren Länderpartnerschaften präsent sind, insbesondere in Syrien und Libanon: von schrecklichen  Kriegen leidgeprüfte Völker. Ihnen erneuere ich den Ausdruck meiner Zuneigung und meiner Solidarität.

Die Bevölkerung dort erlebt die Stunde des Kreuzes und deshalb wollen wir sie die Liebe, die Nähe und die Unterstützung der ganzen Kirche spüren lassen. Euer solidarisches Band mit ihnen bestärke eure Berufung, überall Brücken des Friedens zu bauen.

Euer Stil der Brüderlichkeit, mit dem ihr auch in Projekten der Aufnahme von Migranten in Sizilien engagiert seid, mache euch großherzig in der Bildung und Formung der jungen Menschen, sowohl innerhalb eurer Vereinigung als auch im Bereich der Schulen. Der heilige Ignatius hat verstanden, dass man für die Erneuerung der Gesellschaft von den jungen Menschen ausgehen muss und regte die Eröffnung von Kollegien an. In ihnen entstanden die ersten Marianischen Kongregationen.

Auf den leuchtenden und fruchtbaren Spuren dieses apostolischen Stils könnt auch ihr aktiv sein in der Gestaltung der verschiedenen sowohl katholischen als auch staatlichen Bildungseinrichtungen in Italien, wie dies bereits in vielen Teilen der Welt der Fall ist. Die Grundlage für euer pastorales Wirken möge immer die Freude des Zeugnisses für das Evangelium sein, verbunden mit einer gewissen Sensibilität, wenn ihr auf den anderen zugeht, und auch mit der Achtung des anderen.

Die Jungfrau Maria, die mit ihrem »Ja« eure Gründer inspiriert hat, gewähre euch, vorbehaltlos auf die Berufung zu antworten, in eurem Lebens- und Arbeitsumfeld »Licht und Salz« zu sein. Auch mein Segen begleite euch, den ich euch allen und euren Familienangehörigen von Herzen erteile. Bitte, vergesst nicht für mich zu beten.

 

 



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