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BESUCH AM SITZ DER ERNÄHRUNGS- UND LANDWIRTSCHAFTSORGANISATION
DER VEREINTEN NATIONEN (FAO)
 AUS ANLASS DER 2. WELTERNÄHRUNGSKONFERENZ

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Donnerstag, 20. November 2014

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Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

mit Empfindungen des Respekts und der Wertschätzung wende ich mich heute hier an Sie aus Anlass der 2. Internationalen Konferenz für Ernährung. Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für den warmherzigen Empfang und die an mich gerichteten Willkommensworte. Ich grüße herzlich den Generaldirektor der FAO, Herrn Dr. José Graziano da Silva, sowie die Generaldirektorin der WHO, Frau Dr. Margaret Chan, und ich freue mich über Ihre Entscheidung, hochrangige Vertreter von Staaten, internationalen Einrichtungen, Organisationen der Zivilgesellschaft sowie aus der Welt der Landwirtschaft und aus dem privaten Bereich zu dieser Konferenz zusammenzubringen, um gemeinsam mögliche Formen der Intervention für die Ernährungssicherheit sowie notwendige Änderungen der derzeitigen Strategien zu untersuchen.

Eine völlige Übereinstimmung in Zielen und Taten, vor allem aber der Geist der Brüderlichkeit, können von entscheidender Bedeutung für adäquate Lösungen sein. Wie Sie wissen, bemüht sich die Kirche stets darum, gegenüber dem geistlichen und materiellen Wohl der Menschen, vor allem der an den Rand Gedrängten und Ausgeschlossenen, aufmerksam zu sein und dafür Sorge zu tragen, dass ihre Sicherheit und Würde gewährleistet werden.

1. Die Geschicke der Nationen sind mehr denn je miteinander verbunden, so wie die Mitglieder einer Familie voneinander abhängen. Allerdings leben wir in einer Epoche, in der die Beziehungen zwischen den Nationen oft durch wechselseitiges Misstrauen Schaden erleiden, das sich mitunter in Formen kriegerischer und wirtschaftlicher Auseinandersetzungen verwandelt, die Freundschaft unter Brüdern untergräbt und denjenigen, der schon ausgeschlossen ist, zurück- oder ausweist. Jeder, dem das tägliche Brot und eine würdige Arbeit fehlen, weiß das nur allzu gut. Das ist der weltweite Kontext, in dem man die Grenzen der Vorhaben anerkennen muss, die auf der absolut verstanden Souveränität jedes einzelnen Staates und auf den nationalen Interessen basieren, die oft von kleinen Machtgruppen beeinflusst werden.

Das zeigt deutlich die Lektüre Ihrer Arbeitsagenda, die darauf abzielt, neue Normen, Formen und klarere Verpflichtungen für die weltweite Ernährung zu erarbeiten. Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass die Staaten sich bei der Ausarbeitung der genannten Abkommen von der Überzeugung leiten lassen, dass das Recht auf Ernährung nur dann garantiert werden kann, wenn wir uns um sein tatsächliches Subjekt kümmern, das heißt um den Menschen, der unter Hunger und Mangelernährung leidet. Das tatsächliche Subjekt!

Heutzutage spricht man viel von Rechten, vergisst aber häufig die Pflichten. Vielleicht haben wir uns zu wenig um die Menschen gekümmert, die unter Hunger leiden. Man muss außerdem mit Bedauern feststellen, dass der Kampf gegen Hunger und Unterernährung behindert wird durch die »Priorität des Marktes« und durch den »Primat des Profits«, die Nahrungsmittel zu einem beliebigen Handelsgut reduziert haben, das der Spekulation, auch der finanziellen, unterworfen werden kann. Und während man von neuen Rechten spricht, sitzt der Hungernde dort, an der Straßenecke, und bittet um sein Bürgerrecht, er bittet darum, dass man seine Lage zur Kenntnis nimmt und dass er gesunde Ernährung bekommt. Er bittet uns um Würde, nicht um ein Almosen.

2. Diese Kriterien dürfen nicht bloße Theorie bleiben. Die Menschen und die Völker fordern, dass die Gerechtigkeit in die Praxis umgesetzt werde: nicht nur die legale Gerechtigkeit, sondern auch die Beitrags- und die Verteilungsgerechtigkeit. Die Entwicklungs- und Arbeitsprogramme der internationalen Organisationen müssten deshalb dem Wunsch, der bei einfachen Leuten so verbreitet ist, Rechnung tragen, dass unter allen Umständen die Grundrechte der menschlichen Person und, in unserem Fall, die des hungernden Menschen respektiert werden. Wenn das geschieht, werden auch die humanitären Interventionen, die dringenden Hilfs- und Entwicklungsaktionen – nämlich der wahren, der ganzheitlichen Entwicklung – mehr Wirkung zeigen und die gewünschten Früchte bringen.

3. Natürlich müssen sich die Regeln und technischen Maßnahmen orientieren am Interesse für die Produktion, an der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und dem Zugang zu ihnen, am Klimawandel und am Agrarhandel; doch die erste Sorge muss der Mensch selbst sein, all jene, denen es an der täglichen Nahrung fehlt und die aufgehört haben, ans Leben und an die familiären und sozialen Beziehungen zu denken, weil sie nur noch ums Überleben kämpfen. Der heilige Papst Johannes Paul II. hat die internationale Gemeinschaft bei der

Eröffnung der 1. Konferenz über Ernährung 1992 in diesem Saal vor dem Risiko des »Paradoxons des Überflusses« gewarnt: Es gibt genug Nahrung für alle, aber nicht alle können essen, während die Verschwendung, die Vernichtung, der exzessive Konsum und der Gebrauch von Lebensmitteln zu anderen Zwecken uns allen vor Augen stehen. Das ist das Paradoxe daran! Leider ist dieses »Paradoxon« heute immer noch aktuell. Es gibt wenig Themen, über die man so viele falsche Aussagen hört wie über den Hunger; es gibt wenige Themen, die so anfällig dafür sind, manipuliert zu werden durch Daten, Statistiken, nationale Sicherheitsanforderungen, Korruption oder einen mitleidigen Verweis auf die Wirtschaftskrise. Das ist die erste Herausforderung, die es zu überwinden gilt.

Die zweite Herausforderung, die in Angriff genommen werden muss, ist der Mangel an Solidarität. Es handelt sich dabei um ein Wort, das wir unbewusst am liebsten aus unserem Wortschatz streichen würden. Unsere Gesellschaften zeichnen sich durch einen wachsenden Individualismus und durch Spaltung aus; dies geht so weit, dass die Schwächsten eines würdigen Lebens beraubt werden und Unruhen gegen die Institutionen ausbrechen. Wenn in einem Land die Solidarität fehlt, dann bekommt das die ganze Welt zu spüren. Tatsächlich ist Solidarität die Haltung, die die Menschen dazu befähigt, auf den anderen zuzugehen, ihre gegenseitigen Beziehungen auf dieses Gefühl der Brüderlichkeit zu bauen, das die Unterschiede und Grenzen übersteigt, und die dazu bewegt, zusammen das Gemeinwohl zu suchen.

In dem Maße, in dem die Menschen sich bewusst werden, dass sie Mitverantwortliche des Schöpfungsplanes sind, werden sie auch fähig, sich gegenseitig zu respektieren, statt sich zu bekämpfen und dadurch den Planeten zu schädigen und ärmer zu machen. Auch die Staaten, die als eine Gemeinschaft von Menschen und Völkern konzipiert sind, sind dazu aufgerufen, gemeinsam zu handeln, dazu bereit zu sein, sich untereinander zu helfen durch die Prinzipien und Normen, die das Völkerrecht ihnen zur Verfügung stellt. Eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration ist das Naturrecht, das in das menschliche Herz eingeschrieben ist und eine Sprache spricht, die alle verstehen können: Liebe, Gerechtigkeit, Friede, Elemente, die nicht voneinander zu trennen sind. Wie die Menschen sind auch die Staaten und die internationalen Institutionen aufgerufen, diese Werte in einem Geist des Dialogs und des gegenseitigen Zuhörens aufzunehmen und zu pflegen. Auf diese Weise wird das Ziel, die Menschheitsfamilie zu ernähren, erreichbar.

4. Jede Frau, jeder Mann, jedes Kind, jeder alte Mensch muss in jeder Situation auf diese Garantien zählen können. Und es ist die Pflicht jedes Staats, sie im Blick auf das Wohlergehen seiner Bürger ohne Vorbehalte zu unterschreiben und sich um ihre Anwendung zu kümmern. Das erfordert Durchhaltevermögen und Mithilfe. Die katholische Kirche versucht ebenfalls, auf diesem Gebiet ihren Beitrag zu leisten, indem sie dem Leben der Armen und Bedürftigen in allen Teilen des Planeten stets ihre Aufmerksamkeit zukommen lässt; auf dieser Linie bewegt sich auch das aktive Engagement des Heiligen Stuhls in den internationalen Organisationen und seinen zahlreichen Dokumenten und Erklärungen. Auf diese Weise soll dazu beigetragen werden, die Kriterien herauszuarbeiten und zu übernehmen, die die Entwicklung eines gerechten internationalen Systems erfüllen muss. Es sind Kriterien, deren tragende Säulen in ethischer Hinsicht Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind; im juridischen Bereich schließen diese Kriterien zugleich die Beziehung zwischen dem Recht auf Ernährung und dem Recht auf Leben und auf eine würdige Existenz ein, das Recht, vom Gesetz beschützt zu werden – was nicht immer so ganz der Realität der Hungernden entspricht – und die moralische Verpflichtung, den wirtschaftlichen Reichtum der Welt zu teilen.

Wenn man an das Prinzip der Einheit der Menschheitsfamilie, gegründet auf die Vaterschaft des Schöpfergottes, glaubt, und an die Brüderlichkeit der Menschen untereinander, dann kann keine Form politischen oder wirtschaftlichen Drucks, der sich der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln bedient, akzeptabel erscheinen. Politischer oder wirtschaftlicher Druck… Und hierbei denke ich an unsere Schwester und Mutter Erde, unseren Planeten. Wenn wir frei sind von politischem oder wirtschaftlichem Druck, um den Planeten zu bewahren und zu verhindern, dass er sich selbstzerstört. Wir haben Peru und Frankreich vor Augen, zwei Konferenzen, die für uns eine große Herausforderung sind. Den Planeten bewahren. Ich denke dabei an ein Wort, das mir vor vielen Jahren ein älterer Mann gesagt hat: »Gott vergibt Beleidigungen und Missbrauch immer. Gott vergibt immer. Die Menschen verzeihen manchmal. Die Erde verzeiht nie!« Wir müssen unsere Schwester Erde, unsere Mutter Erde bewahren, damit sie nicht eines Tages mit Zerstörung antwortet. Vor allem aber darf kein System der – tatsächlichen oder rechtlichen – Diskriminierung, verbunden mit der Möglichkeit des Zugangs zu den Nahrungsmittelmärkten, zum Modell für die internationalen Aktivitäten werden, die sich ein Ende des Hungers zum Ziel setzen.

Während ich diese Überlegungen mit Ihnen teile, bitte ich den allmächtigen Gott, der reich an Barmherzigkeit ist, alle zu segnen, die sich in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich in den Dienst der Hungernden stellen und sich mit konkreten Gesten der Nähe um sie kümmern. Ich bete auch darum, dass die internationale Gemeinschaft den Ruf dieser Konferenz hören und ihn als Ausdruck des gemeinsamen Gewissens der Menschheit ansehen möge: den Hungernden zu essen geben, um das Leben auf dem Planeten zu retten. Danke.

 



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