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INTERVIEW MIT PAPST FRANZISKUS

von Antonio Spadaro

 

Warum sind Sie Jesuit geworden?

»Ich wollte etwas mehr machen, wusste aber nicht, was. Ich war ins Priesterseminar eingetreten. Die Dominikaner gefielen mir, und ich hatte Dominikaner als Freunde. Aber dann habe ich die Gesellschaft Jesu gewählt, die ich gut kannte, weil das Seminar den Jesuiten anvertraut war. An der Gesellschaft Jesu haben mich drei Dinge berührt: der Sendungscharakter, die Gemeinschaft und die Disziplin. Das mutet seltsam an, weil ich von Geburt an ein undisziplinierter Mensch bin. Aber die Disziplin der Jesuiten, ihre Art mit der Zeit umzugehen, hat mich sehr beeindruckt.
Und dann etwas, das für mich wirklich fundamentale Bedeutung hat: die Gemeinschaft. Ich sehe mich nicht als einsamer Priester: Ich brauche Gemeinschaft. Und das wird aus der Tatsache verständlich, dass ich hier in Santa Marta wohne: … Das päpstliche Appartement im Apostolischen Palast ist nicht luxuriös. Es ist alt, geschmackvoll eingerichtet und groß, nicht luxuriös. Aber letztendlich gleicht es einem umgekehrten Trichter. Es ist groß und geräumig, aber der Eingang ist wirklich schmal. Man tritt tropfenweise ein. Das ist nichts für mich. Ohne Menschen kann ich nicht leben. Ich muss mein Leben zusammen mit anderen leben.«

Das Vorbild: Peter Faber, ein »reformierter Priester«

An diesem Punkt frage ich mich, ob es unter den Jesuiten von den Anfängen der Gesellschaft Jesu bis heute Gestalten gibt, die ihn besonders berührt haben. Und so frage ich den Papst, ob es sie gibt, welche es sind und warum. Der Papst beginnt mit der Nennung von Ignatius und Franz Xaver, aber dann hält er bei einer Gestalt inne, die die Jesuiten kennen, die aber sicher nicht allgemein bekannt ist: der selige Peter Faber (1506-1546) aus Savoyen. Er ist einer der ersten Gefährten des heiligen Ignatius, ja der Erste, mit dem er das Zimmer teilte, als beide Studenten an der Sorbonne waren. Der Dritte im selben Zimmer war Franz Xaver. Pius IX. hat Peter Faber am 5. September 1872 seliggesprochen; der Heiligsprechungsprozess ist im Gang.

Die Erfahrung von Führung und Leitung

Welche Art von Leitungserfahrung hat Pater Bergoglios Ausbildung – er war zunächst Hausoberer und dann Provinzoberer in der Gesellschaft Jesu – weiter reifen lassen? Der Führungsstil der Gesellschaft setzt die Entscheidung seitens des Oberen, aber auch die Konfrontation mit seinen Konsultoren (Beratern) voraus.

Und so frage ich den Papst: Denken Sie, dass Ihre Führungserfahrung aus der Vergangenheit Ihnen bei Ihrer aktuellen Leitung der Gesamtkirche dienen kann?

»Um die Wahrheit zu sagen: In meiner Erfahrung als Oberer in der Gesellschaft habe ich mich nicht immer so korrekt verhalten, dass ich die notwendigen Konsultationen durchführte. Und das war keineswegs gut. Mein Führungsstil als Jesuit hatte anfangs viele Mängel. Es war eine schwere Zeit für die Gesellschaft Jesu: Eine ganze Jesuitengeneration war ausgefallen. Deshalb wurde ich schon in sehr jungen Jahren zum Provinzial ernannt. Ich war erst 36 Jahre alt – eine Verrücktheit! Ich musste mich mit sehr schwierigen Situationen auseinandersetzen und traf meine Entscheidungen auf sehr schroffe und persönliche Weise. Ja, aber etwas muss ich doch noch hinzufügen: Wenn ich einer Person eine Sache anvertraue, habe ich totales Vertrauen zu dieser Person. Sie muss wirklich einen sehr schweren Fehler begehen, damit ich es ihr entziehe. Dessen ungeachtet sind die Menschen des Autoritarismus überdrüssig. Meine autoritäre und schnelle Art, Entscheidungen zu treffen, hat mir ernste Probleme und die Beschuldigung eingebracht, ultrakonservativ zu sein. Ich habe eine Zeit einer großen inneren Krise durchgemacht, als ich in Córdoba lebte. Nun bin ich sicher nicht wie die selige Imelda gewesen, aber ich bin nie einer von den ›Rechten‹ gewesen. Es war meine autoritäre Art, die Entscheidungen zu treffen, die Probleme verursachte«. […]
»Mit der Zeit habe ich vieles gelernt. Der Herr hat mir diese Führungspädagogik ungeachtet meiner Fehler und Sünden gewährt. So hatte ich als Erzbischof von Buenos Aires alle vierzehn Tage ein Treffen mit meinen sechs Weibischöfen und mehrmals im Jahr mit dem Priesterrat. … Die Konsistorien und die Synoden sind zum Beispiel wichtige Orte, um diese Konsultation wahrhaftig und aktiv durchzuführen. Man sollte sie in der Form allerdings weniger starr gestalten. Ich wünsche mir wirkliche, keine formellen Konsultationen. Das Gremium der acht Kardinäle – diese Outsider-Beratungsgruppe – ist nicht allein meine Entscheidung, sondern Frucht des Willens der Kardinäle, wie er bei den Generalkongregationen vor dem Konklave zum Ausdruck gebracht wurde. Und ich will, dass es echte, keine formellen Beratungen geben wird.«

Mit der Kirche fühlen

»Das Bild der Kirche, das mir gefällt, ist das des heiligen Volkes Gottes. Die Definition, die ich oft verwende, ist die der Konzilserklärung Lumen gentium in Nummer 12. Die Zugehörigkeit zu einem Volk hat einen großen theologischen Wert: Gott hat in der Heilsgeschichte ein Volk erlöst. Es gibt keine volle Identität ohne die Zugehörigkeit zu einem Volk. Niemand wird alleine gerettet, als isoliertes Individuum. Gott zieht uns an sich und betrachtet dabei die komplexen Gebilde der zwischenmenschlichen Beziehungen, die sich in der menschlichen Gesellschaft abspielen. Gott tritt in diese Volksdynamik ein. Das Volk ist das Subjekt. Und die Kirche ist das Volk Gottes auf dem Weg der Geschichte – mit seinen Freuden und Leiden. Fühlen mit der Kirche bedeutet für mich, in dieser Kirche zu sein. Und das Ganze der Gläubigen ist unfehlbar im Glauben. Es zeigt diese Unfehlbarkeit im Glauben durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes Gottes auf dem Weg. So verstehe ich heute das ›Sentire cum ecclesia‹, von dem der heilige Ignatius spricht. Wenn der Dialog der Gläubigen mit dem Bischof und dem Papst auf diesem Weg geht und loyal ist, dann hat er den Beistand des heiligen Geistes. Es ist also kein Fühlen, das sich auf die Theologen bezieht.« […]
»Wie behandeln wir das Volk Gottes? Ich träume von einer Kirche als Mutter und als Hirtin. Die Diener der Kirche müssen barmherzig sein, sich der Menschen annehmen, sie begleiten – wie der gute Samariter, der seinen Nächsten wäscht, reinigt, aufhebt. Das ist pures Evangelium. Gott ist größer als die Sünde. Die organisatorischen und strukturellen Reformen sind sekundär, sie kommen danach. Die erste Reform muss die der Einstellung sein. Die Diener des Evangeliums müssen in der Lage sein, die Herzen der Menschen zu erwärmen, in der Nacht mit ihnen zu gehen. Sie müssen ein Gespräch führen und in die Nacht hinabsteigen können, in ihr Dunkel, ohne sich zu verlieren. Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre oder Staatskleriker. Die Bischöfe speziell müssen Menschen sein, die geduldig die Schritte Gottes mit seinem Volk unterstützen können, so dass niemand zurück bleibt. Sie müssen die Herde auch begleiten können, die weiß, wie man neue Wege geht.«

Römische Dikasterien, Synodalität, Ökumene

Da der Papst die Hierarchie erwähnt, frage ich: Was denken Sie von den römischen Dikasterien?

»Die römischen Dikasterien (Kongregationen, Räte und die anderen Ämter) stehen im Dienst des Papstes und der Bischöfe. Sie müssen den Ortskirchen helfen oder den Bischofskonferenzen. Es sind Einrichtungen des Dienstes. In Einzelfällen, wenn man sie nicht richtig versteht, laufen sie Gefahr, Zensurstellen zu werden. Es ist eindrucksvoll, die Anklagen wegen Mangel an Rechtgläubigkeit, die in Rom eintreffen, zu sehen.
Ich meine, dass diese von den Bischofskonferenzen untersucht werden müssen, die ihrerseits eine Hilfe aus Rom bekommen können. Die Fälle werden besser an Ort und Stelle behandelt. Die römischen Dikasterien sind Vermittler, sie sind nicht autonom.«

Müssen wir Optimisten sein?

»Mir gefällt es nicht, das Wort ›Optimismus‹ zu gebrauchen, denn es drückt eine psychologische Haltung aus. Mir gefällt es mehr, das Wort ›Hoffnung‹ zu verwenden – entsprechend dem, was im 11. Kapitel des Briefes an die Hebräer steht, das ich schon zitiert habe. Die Väter sind weiter durch große Schwierigkeiten gegangen.
Und die Hoffnung enttäuscht nicht – wie wir im Brief an die Römer lesen. Denken Sie mal an das erste Rätsel aus ›Turandot‹ von Puccini!«, sagt mir der Papst.

Kunst und Kreativität

»Ich habe viele Autoren geliebt, die sehr unterschiedlich sind. Dostojewskij und Hölderlin liebe ich sehr. – Unter den Malern bewundere ich Caravaggio. Seine Bilder sprechen zu mir […] Wir müssen auch vom Kino sprechen. ›La strada‹ von Fellini ist vermutlich der Film, den ich am meisten geliebt habe. Ein anderer Film, den ich sehr geliebt habe, war ›Rom, offene Stadt‹.«

Beten

Ich stelle dem Papst eine letzte Frage über seine bevorzugte Gebetsweise.

»Ich bete jeden Morgen das Offizium. Ich bete gern mit den Psalmen. Dann feiere ich die Messe. Ich bete den Rosenkranz. Was ich aber vorziehe, ist die abendliche Anbetung – auch wenn ich zerstreut bin oder an anderes denke oder sogar beim Beten einschlafe. Also abends von sieben bis acht bin ich vor dem Allerheiligsten für eine Stunde der Anbetung. Aber ich bete auch im Geist, wenn ich beim Zahnarzt warte oder bei anderen Gelegenheiten am Tag.
Das Gebet ist für mich immer ein ›Erinnerungs‹-Gebet, voll von Erinnerungen, von Gedenken, auch Denken an meine Geschichte oder an das, was der Herr in seiner Kirche oder einer bestimmten Pfarrei gemacht hat. Für mich ist es die Erinnerung, von der der heilige Ignatius in der ersten Woche der Exerzitien bei der erbarmenden Begegnung mit dem gekreuzigten Christus spricht. Und ich frage mich: ›Was hast du für Christus getan? Was tue ich für Christus? Was muss ich tun für Christus?‹ Es ist die Erinnerung, von der Ignatius auch spricht bei der ›Betrachtung zur Erlangung der Liebe‹, wenn er bittet, sich an die empfangenen Wohltaten zu erinnern. Aber ich weiß auch, dass der Herr sich meiner erinnert.
Ich könnte ihn sogar vergessen. Aber ich weiß, dass Er mich nie, nie vergisst. Das Erinnern ist die radikale Verankerung des Herzens eines Jesuiten: Es ist das Erinnern an die Gnade, das Erinnern, von dem im Deuteronomium die Rede ist, das Denken an die Werke Gottes, die dem Bund Gottes mit seinem Volk zugrunde liegen. Es ist dieses Erinnern, das mich zum Kind und auch zum Vater macht.«


(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, 43. Jahrgang, Nr. 39, Freitag, 27/09/2013)

 



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