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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

  

Die Torheit der Christen

 Donnerstag, 11. September 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 39, 26. September  2014

 

Christ zu sein bedeutet, auch »ein wenig töricht« zu sein, zumindest nach den Kriterien der weltlichen Logik. Und keineswegs selbstbezogen, da man alleine sowieso nichts tun kann, und damit wir nicht erschrecken, kommt uns die Gnade Gottes zur Hilfe. Das sind die Grundzüge eines christlichen, an der Neuheit des Evangeliums ausgerichteten Lebens, das die Kriterien der Welt umkehrt. Papst Franziskus stellte sie in der Frühmesse des 11. September, die er in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte, erneut vor Augen.

Der Papst lud dazu ein, das sechste Kapitel des Lukasevangeliums, aus dessen Versen 27 bis 38 das Tagesevangelium bestand, zu lesen, noch einmal zu lesen, »auch viermal falls nötig« und erinnerte daran, dass Jesus uns »das Gesetz der Liebe« gegeben habe: »Gott zu lieben und einander zu lieben wie Brüder.« Er fügte hinzu, dass der Herr nicht versäumt habe, dies »mit den Seligpreisungen ein wenig näher zu erklären«, in denen »die Haltung des Christen« gut zusammengefasst sei. Im Evangeliumsabschnitt dieses Tages allerdings, gehe Jesus noch darüber hinaus und »erklärt denen, die bei ihm waren, um ihm zuzuhören, noch etwas mehr«. Zunächst, so schlug der Papst vor, wolle er »die Verben untersuchen, die Jesus benutzt: liebt, tut Gutes, segnet, betet, halte hin, lass, gib«. Damit »zeigt uns Jesus den Weg, den wir gehen müssen, einen Weg der Großherzigkeit«. Er fordere uns vor allem auf »zu lieben«. Und wir fragten: »Wen aber soll ich lieben?« Er antworte uns: »Eure Feinde.« Und wir fragten überrascht, um uns zu vergewissern: Ausgerechnet unsere Feinde? »Ja«, sage der Herr, gerade »die Feinde«!

Aber er fordert uns auch auf, Gutes zu tun. Und wenn wir fragten »wem«, weise er uns sofort auf diejenigen hin, »die uns hassen«. Und auch diesmal würden wir den Herrn fragen, um uns zu vergewissern: »Ich soll dem Gutes tun, der mich hasst?« Und die Antwort des Herrn laute immer: »Ja.« Dann fordere er uns auch auf, »jene zu segnen, die uns verfluchen«. Und nicht nur »für meine Mutter, meinen Vater, meine Kinder, die Familie« zu beten, sondern für diejenigen, »die uns schlecht behandeln«. Und »dem, der um etwas bittet, das Erbetene nicht zu verweigern«.

Die »Neuheit des Evangeliums«, erklärte der Papst, bestehe darin, »sich selbst hinzugeben, sein Herz zu geben, gerade für die, die uns übel wollen, die uns schlecht behandeln, für die Feinde«. Im Lukasevangelium sei zu lesen: »Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür?« Das wäre eine bloße Erwiderung: »du liebst mich, ich liebe dich«. Aber Jesus erinnere uns daran, dass »auch die Sünder die lieben, die sie lieben« – und wenn Jesus Sünder sage, dann meine er die Heiden. Deshalb, so Franziskus, sei dies »kein Verdienst«! Der Text des Evangeliums fahre fort: »Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder.« Erneut handle es sich um eine bloße Erwiderung: »Ich tue dir Gutes, du tust mir Gutes.« Und das Evangelium füge hinzu: »Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr erhofft, es zurückzubekommen, welchen Dank erwartet ihr dafür?« Die Antwort des Papstes war sehr klar: »Gar keinen Dank, denn das ist ein Geschäft «. Im Übrigen füge der Evangelist an: »Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung, alles zurückzubekommen.«

All diese Gedanken Jesu, so Papst Franziskus, führten zu einer eindringlichen Schlussfolgerung: »Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein.« Daraus werde klar ersichtlich, dass »das Evangelium eine schwer umzusetzende Neuheit ist«. In einem Wort bedeute es, »Jesus nachzufolgen«. Ihm folgen. Ihn nachahmen. Jesus habe nicht zu seinem Vater gesagt: »Ich werde gehen, ihnen etwas sagen, eine schöne Rede halten, den Weg zeigen, und dann komme ich zurück.« Nein, die Antwort Jesu an den Vater sei: »Ich werde deinen Willen tun.« Denn am Ölberg sage er zum Vater: »Dein Wille geschehe.« Und so »gibt er sein Leben hin, und zwar nicht für seine Freunde«, sondern »für seine Feinde«!

Der Weg des Christen sei nicht einfach, gab der Papst zu, aber »das ist er«. Die Antwort an alle, die sagten: »Das traue ich mir nicht zu, so zu handeln!« sei: »Wenn du dazu nicht imstande bist, dann ist das dein Problem, aber das ist der Weg des Christen. Das ist der Weg, den Jesus uns lehrt.« Deshalb forderte Franziskus dazu auf, »den Weg Jesu zu gehen, der Barmherzigkeit ist: Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist!« Denn »nur mit einem barmherzigen Herzen können wir das tun, was der Herr uns zu tun rät, bis zum Ende«. So werde deutlich, dass »das christliche Leben kein selbstbezogenes Leben ist«, sondern ein Leben, das »aus sich selbst herausgeht, um sich den anderen zu schenken: es ist ein Geschenk, es ist Liebe, und die Liebe richtet sich nicht auf sich selbst zurück, sie ist nicht egoistisch: sie gibt sich hin!«

Der Abschnitt aus dem Lukasevangelium schließe mit der Einladung, nicht zu urteilen und barmherzig zu sein. Dagegen »scheint es oft so zu sein, als wären wir zu Richtern über die anderen bestellt: wenn wir klatschen, schlecht reden, über alle richten«. Aber Jesus sage uns: »Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. « Im Übrigen »sagen wir das jeden Tag im Vaterunser: Vergib’ uns wie auch wir vergeben.« Denn wenn ich als Erster »nicht vergebe, wie kann ich dann den Vater fragen: ›Vergibst du mir?‹«

Es gebe noch ein weiteres schönes Bild in diesem Evangeliumstext, so der Papst: »›Gebt, dann wird auch euch gegeben werden.‹ Hier sieht man, dass das Herz Jesu weit wird und diese Verheißung gibt, die vielleicht ein Bild des Himmels ist.« Das christliche Leben, so wie Jesus es uns vor Augen stelle, scheine tatsächlich »Torheit« zu sein, unterstrich Franziskus. Der heilige Paulus spreche im Übrigen von der »Torheit des Kreuzes Christi, die mit der Weisheit dieser Welt nichts zu tun hat«. Deshalb bedeute »Christ zu sein in gewissem Sinn auch töricht zu sein«. Es bedeute, auf »eine gewisse Schlauheit der Welt zu verzichten, um alles zu tun, was Jesus uns sagt. Und wenn wir ausrechnen, wenn wir Bilanz ziehen, dann scheint das zu unserem Nachteil zu sein.« Aber »der Weg Jesu« ist die »Großherzigkeit, die Großzügigkeit, sich selbst ohne Maß hinzugeben«. Er »ist in die Welt gekommen«, um zu retten und »hat sich hingegeben, hat vergeben, hat nie schlecht über jemanden geredet, hat nicht gerichtet«.

Sicher »ist das Christsein nicht einfach«, so der Papst. Und nur mit unseren eigenen Kräften könnten wir keine »Christen werden«: Wir bräuchten »die Gnade Gottes«. Also gebe es ein Gebet, das man jeden Tag beten müsse: »Herr, schenke mir die Gnade, ein guter Christ, eine gute Christin zu werden, denn ich kann das nicht allein.«

Franziskus sagte abschließend, dass »eine erste Lektüre« des sechsten Kapitels aus dem Lukasevangelium »erschrecken« könne. Aber er schlug vor: »Wenn wir das Evangelium nehmen und es zum zweiten, zum dritten, zum vierten Mal lesen«, dann könnten wir »den Herrn um die Gnade bitten, zu verstehen, was es heißt, ein Christ zu sein«. Und »auch um die Gnade, dass er uns zu Christen macht. Denn allein von uns aus können wir das nicht.«

  



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