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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

  

 Wenn der Hass tötet 

 Donnerstag, 12. Juni 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 25, 20. Juni  2014

 

Um bis ins Letzte Gerechtigkeit zu üben und das Liebesgebot zu leben, muss man realistisch sein, konsequent sein und sich als Kinder desselben Vaters, also als Geschwister, anerkennen. Auf diese drei praktischen Kriterien verwies Papst Franziskus in der heiligen Messe, die er am Donnerstagmorgen, dem 12. Juni, in der Kapelle der »Casa Santa Marta« gefeiert hat.

Im von der Liturgie vorgegebenen Abschnitt aus dem Evangelium nach Matthäus (5,20-26) sage Jesus uns – erläuterte der Papst –, »wie die Liebe zwischen uns sein soll«. Jesus beginne seine Rede, indem er »etwas sagt, das uns hilft zu verstehen, wie wir auf dem Weg der brüderlichen Liebe vorangehen sollen«. Seine Worte seien: »Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.«

Daher, sage Jesus, »müssen wir gerecht sein, müssen wir den Nächsten lieben, was das heutige Problem ist; aber nicht wie die Schriftgelehrten, die eine besondere Philosophie hatten«: also »alles, was man tun muss« gut darzulegen – und sich dabei für »intelligent« und »gut« zu halten –, aber es »dann nicht zu tun«. Und daher sage Jesus mit Bezug auf sie: »Tut, was sie sagen, aber nicht das, was sie tun.« Und er sage dies, »weil sie nicht konsequent waren«. Es seien nämlich Personen gewesen, die »wussten, dass das erste Gebot darin bestand, Gott zu lieben: Sie wussten, dass das zweite darin besteht, den Nächsten zu lieben.« Für sie habe es jedoch »viele Nuancen in den Ideen« gegeben, »weil sie Ideologen waren«. Und sie hätten eine ganze Reihe an Unterscheidungen getroffen, was es bedeute, »den Nächsten zu lieben«. Am Ende nähmen sie daher »eine Haltung an, die keine Liebe war«, sondern vielmehr »Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten«. Daher also rufe Jesus auf, dieses Handeln zu überwinden, das »nicht Gerechtigkeit, sondern soziales Gleichgewicht ist«.

Und um das zu tun, sagte der Papst, gebe Jesus uns »drei Kriterien« an die Hand. Das erste sei »ein Kriterium des gesunden Realismus«. Denn Jesus sage: »Wenn du etwas gegen den anderen hast« und ihr die Frage »nicht beilegen« und »eine Lösung suchen« könnt, dann ist es angemessen, wenigstens einen Weg zu finden, »um Frieden zu schließen«. Vor allem mahne der Herr: »Schließe Frieden mit deinem Gegner, solange du noch auf dem Weg bist.« Vielleicht »wird es nicht das Ideale sein, aber der Friede ist etwas Gutes: Er ist Realismus!« Und denen, die einwendeten, dass »der Friede nicht dauerhaft ist«, und sogar, wie man zu sagen pflege, »geschlossen wird, um gebrochen zu werden«, müsse man antworten, dass »Friedensbemühungen« dazu dienen, »viele Dinge zu retten: Einer tut einen Schritt, der andere tut einen weiteren Schritt«, und so »herrscht wenigstens Friede«. Wenn auch, räumte der Papst ein, »ein sehr vorläufiger Friede«, weil er aus einem Abkommen heraus entstehe. Kurz, »Jesus ist Realist«, wenn er sage, dass »die Fähigkeit, miteinander Frieden zu schließen, auch bedeutet, eine Gerechtigkeit zu haben, die größer ist als die der Pharisäer und der Schriftgelehrten«. Es sei »der Realismus des Lebens«. Jesus lege uns sogar ausdrücklich ans Herz, »Frieden zu schließen, während wir noch auf dem Weg sind, eben um dem Kampf und dem Hass untereinander Einhalt zu gebieten. Wir dagegen wollen oft die Dinge zu Ende bringen, sie bis zum Äußersten führen.«

»Ein zweites Kriterium, das Jesus uns gibt, ist das Kriterium der Wahrheit«, erläuterte der Papst. Denn es gebe das Gebot, nicht zu töten; aber »auch schlecht über den anderen zu reden, bedeutet zu töten, denn die Wurzel ist der Hass: Du hast nicht den Mut, ihn zu töten, oder meinst, es sei übertrieben, aber du tötest ihn auf andere Weise, durch Klatsch, durch üble Nachrede, durch Verleumdung.« Im Evangelium nach Matthäus seien die diesbezüglichen Worte Jesu sehr deutlich: »Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.« Wenn wir daher, so der Papst, »Menschen hören, die einander so schlimme Dinge sagen«, müsse man sich stets daran erinnern, dass man den Bruder töte, wenn man ihn »Dummkopf« oder »Narr« nenne, denn die Beleidigung »hat eine Wurzel des Hasses«. Denn sie »entspringt derselben Wurzel wie das Verbrechen. Es ist dieselbe: der Hass!« Dennoch ist, so der Papst weiter, »der Versuch zu beleidigen eine sehr verbreitete Gewohnheit unter uns«. Es gebe »Menschen, die eine beeindruckende Fähigkeit besitzen, ihren Hass gegen eine andere Person zum Ausdruck zu bringen«. Und die nicht daran dächten, wie schlecht es sei, »zu schimpfen und zu beleidigen«.

Das dritte Kriterium, das Jesus uns gebe, »ist ein Kriterium der Kindschaft«. Wir, so der Papst, »dürfen den Bruder nicht töten«, eben weil er unser Bruder ist: »Wir haben denselben Vater.« Und im Evangelium stehe: »Ich kann nicht zum Vater gehen, wenn ich nicht mit meinem Bruder Frieden habe.« Denn Jesus sage: »Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe.« Der Herr mahne also: »Sprich nicht mit dem Vater, wenn du nicht im Frieden lebst mit deinem Bruder« oder »wenigstens in einer Übereinkunft«. Das seien, fasste der Papst abschließend zusammen, »die drei Kriterien: ein Kriterium des Realismus; ein Kriterium der Konsequenz, also nicht zu töten, aber auch nicht zu beleidigen, denn wer beleidigt, tötet; und ein Kriterium der Kindschaft: Man kann nicht mit dem Vater sprechen, wenn ich nicht mit meinem Bruder sprechen kann.« Das seien die drei Kriterien, um »eine größere Gerechtigkeit zu leben als die Schriftgelehrten und Pharisäer«.

Ein »nicht einfaches Programm«, gab der Bischof von Rom zu, »aber es ist der Weg, den Jesus uns weist, um voranzugehen«. Abschließend bat Papst Franziskus den Herrn um »die Gnade, unter uns im Frieden voranzugehen«, vielleicht auch »mit ausgehandelten Übereinkünften, aber stets konsequent und im Geist der Kindschaft«.



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