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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTAE"

 

Das Jona-Syndrom

Montag, 14. Oktober 2013

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 43, 25. Oktober 2013

Es gibt eine schwere Krankheit, die in der heutigen Zeit die Christen bedroht: das »Jona-Syndrom«, bei dem man sich perfekt und rein fühlt, als wäre man eben aus der Reinigung gekommen, im Gegensatz zu denen, die wir als Sünder verurteilen und die deshalb allein zurecht kommen müssen, ohne unsere Hilfe. Jesus dagegen erinnert uns daran, dass es notwendig ist, dem »Zeichen des Jona« zu folgen, um gerettet zu werden: der Barmherzigkeit des Herrn. Diese Gedanken standen im Mittelpunkt der Predigt, die der Papst am Morgen des 14. Oktober in der heiligen Messe in Santa Marta gehalten hat.

In seinem Kommentar zu den Schriftlesungen des Tages aus dem Römerbrief des heiligen Paulus (1,1–7) und dem Lukasevangelium (11,29–32) bezog sich der Papst zunächst auf das »harte Wort«, mit dem Jesus sich an eine Gruppe von Personen wendet: »Diese Generation ist böse.« Er bemerkte dazu: Das »ist ein Wort, das fast eine Beleidigung zu sein scheint: diese Generation ist eine böse Generation. Das ist sehr hart! Jesus ist so gütig, so demütig, so mild, aber er sagt dieses Wort.« Dennoch, so erklärte der Papst, habe sich Jesus dabei sicherlich nicht auf die Menschen bezogen, die ihm nachfolgten. Er habe damit vielmehr die Schriftgelehrten gemeint, jene, die ihn auf die Probe stellen wollten, die wollten, dass er ihnen in die Falle geht. Das seien alles Menschen gewesen, die Zeichen, Beweise gefordert hätten. Und Jesus habe ihnen geantwortet, dass das einzige Zeichen, das ihnen gegeben werde, das »Zeichen des Jona« sei.

Aber was ist das Zeichen des Jona? »Vergangene Woche«, so erinnerte der Papst, »hat uns die Schriftlesung über Jona nachdenken lassen. Und nun verspricht Jesus das Zeichen des Jona«. Bevor Papst Franziskus dieses Zeichen erläuterte, lud er dazu ein, über ein weiteres Detail nachzudenken, das aus der biblischen Erzählung abgeleitet werden kann: das »Jona-Syndrom«, jenes Syndrom, das der Prophet in seinem Herzen hatte. Der Heilige Vater erläuterte: Er »wollte nicht nach Ninive gehen und floh nach Spanien«. Er dachte, er hätte ganz klare Vorstellungen: »Das ist die Lehre, das muss man glauben. Wenn diese Sünder sind, dann sollen sie selbst schauen, wie sie zurechtkommen; ich habe damit nichts zu tun! – Das ist das Jona-Syndrom«. Und »Jesus verurteilt es. So werden beispielsweise im 23. Kapitel des Matthäusevangeliums diejenigen, die an dieses Syndrom glauben, als Heuchler bezeichnet. Sie wollen nicht, dass diese armen Leute gerettet werden. Gott sagt zu Jona: Die armen Menschen, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können, sind Ignoranten, Sünder. Aber Jona besteht weiter darauf: Sie brauchen Gerechtigkeit! Ich beachte alle Gebote; sie sollen schauen, wie sie zurechtkommen.«

Da haben wir das Jona-Syndrom, an dem »jene erkranken, die keinen heiligen Eifer verspüren, das Volk zu bekehren, sie sind auf der Suche nach einer Heiligkeit – ich gestatte mir, das Wort zu gebrauchen – einer Heiligkeit aus der Reinigung, d. h. sehr schön, sehr gut gemacht, aber ohne den heiligen Eifer, der uns dazu treibt, den Herrn zu verkündigen.« Der Papst erinnerte daran, dass der Herr »angesichts dieser Generation, die am Jona-Syndrom erkrankt ist, das Zeichen des Jona verspricht.« Und er fügte hinzu: »In der anderen Fassung, derjenigen des Matthäus, heißt es: Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches … Der Verweis bezieht sich auf Jesus im Grab, auf seinen Tod und seine Auferstehung. Und das ist das Zeichen, das Jesus verheißt: gegen die Heuchelei, gegen diese Pose der perfekten Religiosität, gegen diese Haltung einer Gruppe von Pharisäern.« Um diese Vorstellung noch verständlicher zu machen, verwies der Bischof von Rom auf ein anderes biblisches Gleichnis, »welches das gut ausdrückt, was Jesus sagen will. Es handelt sich um das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner, die im Tempel beten (Lk 18, 9–14). Der Pharisäer ist sich vor dem Altar so sicher, dass er sagt: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie all die anderen Menschen in Ninive bin oder auch wie dieser dort!

Und der, der dort war, war der Zöllner, der nur das sagte: Gott, sei mir Sünder gnädig!« Das Zeichen, das Jesus verspricht, so präzisierte Papst Franziskus, »ist seine Vergebung: durch seinen Tod und seine Auferstehung. Das Zeichen, das Jesus verheißt, ist seine Barmherzigkeit, jene, die Gott schon seit langem forderte: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.« Folglich »ist das wahre Zeichen des Jona das, welches uns das Vertrauen einflößt, dass wir durch das Blut Christi gerettet sind. Es gibt viele Christen, die glauben, gerettet zu sein, einzig aufgrund dessen, was sie tun, durch ihre Werke. Die Werke sind notwendig, aber sie sind eine Folge, eine Antwort auf diese erbarmungsvolle Liebe, die uns rettet. Die Werke allein, ohne diese erbarmungsvolle Liebe, reichen nicht.«

Folglich »erkranken diejenigen am Jona-Syndrom, die sich einzig auf ihre persönliche Gerechtigkeit verlassen, auf ihre Werke«. Und wenn Jesus sagt, »diese Generation ist böse«, dann bezieht er sich »auf all jene, die das Jona-Syndrom haben.« Aber noch mehr: »Das Jona-Syndrom«, so bekräftigte der Papst, »führt uns zur Heuchelei, zu jener ›genügenden‹ Leistung, die wir zu erreichen glauben, weil wir reine Christen sind, vollkommen, weil wir diese Werke vollbringen, weil wir die Gebote befolgen, alles das. Eine schwere Krankheit, das Jona-Syndrom!« »Das Zeichen des Jona« ist jedoch die »Barmherzigkeit Gottes, gestorben und auferstanden in Christus für uns und für unser Heil.« »In der ersten Schriftlesung gibt es zwei Worte«, so fügte der Papst hinzu, »die hierzu gehören. Der hl. Paulus sagt über sich selbst, dass er ein Apostel ist, nicht weil er studiert habe, sondern er ist Apostel durch Auserwählung. Und er sagt zu den Christen: Ihr seid berufen von Jesus Christus. Das Zeichen des Jona beruft uns.« Die heutige Schriftlesung, so schloss der Papst, möge uns dabei helfen, zu verstehen und eine Wahl zu treffen: »Wollen wir dem Jona-Syndrom oder dem Zeichen des Jona nachfolgen?«



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